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Quipu

Quipu

Titel: Quipu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Vidal
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grau stellte sich ihnen das Inselchen in den Weg und kündigte den Hafen von Callao und die Mauern der Festung Real Felipe an.
    Das Schiff warf Anker, doch der Kapitän ließ sie wissen, dass zur Vermeidung von Schmuggelgeschäften weder Passagiere noch Waren in der Nacht das Schiff verlassen durften.
    Also mussten die Passagiere sich damit begnügen, die weißen, mit der schwindenden Sonne immer gelber werdenden Häuser Callaos vom Schiff aus zu betrachten. Die Küste und das Tiefland wurden mit immer längeren Schatten überzogen, die sich auch über die Anhöhen und Ausläufer der Gebirgskette legten. Ein paar letzte, dunkelviolette Sonnenstrahlen blitzten noch auf den schneebedeckten Gipfeln auf, bevor auch diese dem Kreuz des Südens die Nacht überließen.
     
    Das Morgengrauen überraschte sie mit einer merkwürdigen Stille. Callao war in dichten Nebel gehüllt. Nur schemenhaft ließen sich die Schiffe, Schlepper und Barkassen erahnen, die, begleitet vom Schreien der Möwen, Sturmvögel und Pelikane, langsam durch den Hafen glitten. Die Vögel flatterten zwischen den Masten hin und her und stürzten sich auf die Sardinenschwärme, die bei jedem Angriff auseinanderstoben und sich danach erneut formierten.
    Die Häuser der Stadt waren ein einziger verschwommener |245| Fleck. Man konnte die gezackte Linie der Dächer erahnen, den massiven, dunklen Glockenturm der Kirche und die Bollwerke mit ihren bedrohlichen Kanonen. Das Ganze hatte etwas Unwirkliches, als betrachtete man es durch eine Linse.
    Sebastián war früh aufgestanden. Unruhig spähte er an der Reling stehend in Richtung Hafeneinfahrt, als in der spannungsgeladenen Luft auf einmal ein hässliches Schnauben erklang. Er schrak zusammen, als ein Kopf, der ihm wie der eines Kalbes vorkam, aus dem Wasser auftauchte.
    »Das ist ein Seelöwe«, erklärte Umina schmunzelnd, die plötzlich hinter ihm stand.
    »Guten Morgen«, begrüßte er sie.
    »Es ist Brunftzeit, deshalb kämpfen sie gegeneinander«, sagte sie und zeigte auf die Tiere. »Eigentlich sind sie harmlos und dienen den Seeleuten bei nebliger See als Führer. Sie zeigen ihnen, wo sich die Felsen befinden, denn hier gibt es keine Glocken, die den Nebel ankündigen.«
    Kurz darauf unterrichtete sie der Kapitän, dass sie nun die Erlaubnis hätten, sich auszuschiffen, und ein Boot sie zur Mole bringen werde.
    An Land luden die Hafenarbeiter ihre Gepäckstücke auf ein paar flache Karren, die sie anschließend zum Zoll brachten.
    Am Ausgang wartete ein großer, beleibter Herr auf sie. Er trug Beinkleider, einen Rock aus blauem Samt mit breiten goldenen Knopfleisten und eine rote Weste, die auf seine Strümpfe abgestimmt war. An drei Fingern seiner Hand blitzten Diamantringe auf.
    »Das ist Don Luis de Zúñiga«, erklärte die Mestizin Sebastián, »Kaufmann und Reeder, Geschäftspartner meines verstorbenen Vaters und einer der einflussreichsten Männer Limas.«
    Er mochte um die fünfzig sein, und obwohl das Alter bereits seine Spuren hinterlassen hatte, wirkte er heiter und fröhlich. Dazu trugen auch die mit roten Äderchen überzogene Nase und die geröteten Wangen bei, die seine Leidenschaft für gutes Essen und Trinken verrieten.
    |246| »Du hast meine Nachricht also erhalten«, begrüßte Umina ihn und küsste ihn liebevoll auf die Wange. »Das ist Sebastián de Fonseca, von dem ich dir geschrieben habe. Es macht dir doch nichts aus, wenn er mit uns kommt, oder?«
    »Nein, damit habe ich gerechnet. Herzlich willkommen. Wir fahren, sobald das Gepäck aufgeladen ist. Das hier gefällt mir ganz und gar nicht.« Er deutete auf den Platz neben der Anlegestelle.
    Sebastián dankte ihm und blickte in die Richtung. Es war schwer zu sagen, was Don Luis de Zúñiga meinte. Durch die Rauchschwaden der Holzöfen, die von emsigen einheimischen Frauen angefacht wurden, war nur schemenhaft etwas zu erkennen. Dorther kam auch der köstliche Duft nach fettem gebratenem Schweinefleisch, Fisch und Kartoffeln mit scharfem
ají
. Als der Rauch den Blick freigab, waren außerdem Salzblöcke aus Huacho, durchscheinend wie Alabaster, Bündel aus Chinabaumrinde und in Bananenblätter gewickelte,von einer Wolke von Fliegen umgebene Zuckerbrote zu sehen.
    Doch das war es nicht, auf das Zuñiga sich bezog. Er meinte ein paar finstere Gestalten, die in der Nähe seiner Pferdedroschke herumlungerten, in der sie die gut drei Meilen zurücklegen wollten, die den Hafen von Callao von der Stadt Lima trennten.
    Als die Kalesche

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