Quipu
Lage war, weiterzusprechen.
»Er hat etwas Schreckliches getan, nachdem er sie abgeschnitten hat«, fuhr Umina schließlich stockend fort. »Er hat sie seinem Hund hingeworfen, einer schwarzen Spanischen Dogge, die sie vor Qaytus Augen auffraß, während er noch den Mund voller Blut hatte.«
Sebastián ergriff ihre Hand und bat sie, sich zu beruhigen, während er versuchte, die verschiedenen Fäden zusammenzufügen.
»Jetzt verstehe ich. Deshalb wollte er also Qaytu ins Meer werfen. Das heißt, ab dem Augenblick, in dem Carvajal erfuhr, dass Qaytu an Bord war, versuchte er zu verhindern, dass dieser ihn unter Montillas Expeditionsteilnehmern erkannte.«
»Vermutlich war es so«, antwortete sie. »Aber da ist noch etwas …« Erneut schien Umina mit schmerzlichen Erinnerungen zu kämpfen. »Ich glaube, er steckt auch hinter dem Tod meines Bruders …«
»Erzählen Sie.«
Sie senkte den Kopf und versuchte, die Tränen zu unterdrücken, die ihr in die Augen stiegen.
»Es war schrecklich …«
Carvajal musste für Umina einen wahren Alptraum darstellen, das war Sebastián nun klar. Dieser Mann schien seine Opfer wirklich übel zuzurichten. Aber es musste noch etwas anderes passiert sein, etwas so Entsetzliches, dass Umina nicht in der Lage war, darüber hinwegzukommen. Er wollte sie nicht drängen. Also drückte er nur ihre kalte Hand.
»Ich verstehe … Und deswegen mussten Sie an Ihres Bruders Stelle nach Madrid reisen«, sagte er vorsichtig.
Sie nickte, während sie sich die Augen trocknete. »Es gibt da noch etwas, das Sie wissen müssen. Es war vielleicht der unmittelbare Auslöser für das, was gerade geschieht. Vor zwei oder drei Jahren tauchte auf einmal ein Kazike namens José Gabriel Condorcanqui auf. Er hat in der Nähe von Cuzco Ländereien und |243| ein Geschäft für Maultiertransporte. 1777 kam er nach Lima, um als Nachfahre Túpac Amarus und rechtmäßiger Thronerbe der Inkas anerkannt zu werden. Meine Mutter und mein Bruder haben sich gegen diese Ansprüche verwahrt. Es kam zu einem großen Papierkrieg. Jetzt wird mir klar, dass das Carvajal auf den Plan gerufen hat. Er hat die Prozesse beobachtet, abwechselnd die einen und die anderen bestochen und zudem die Papiere seiner eigenen Familie zu Rate gezogen.«
»Und dabei muss er auf die Fonsecas gestoßen sein, zunächst auf Cristóbal und dann auf meinen Vater und meinen Onkel Álvaro, der in Peru war. Der erzählte mir kurz vor seinem Tode, dass ihm während der Vertreibung der Jesuiten jemand auf den Fersen war. Und dann hat Carvajal sich wohl mit verschiedenen Menschen in Spanien in Verbindung gesetzt, die ihn mit unseren schlimmsten Feinden zusammenbrachten, den Montillas. So bekam er den Marqués auf seine Seite. Dadurch dürfte es auch nicht schwer gewesen sein, offizielle oder zumindest halboffizielle Unterstützung zu erlangen.«
»So muss es gewesen sein«, bestätigte Umina. »Und diesen Kaziken Condorcanqui haben sie als Verbündeten der Jesuiten und Engländer hingestellt, der die Inkaherrschaft wiederherstellen und das Land von der spanischen Krone unabhängig machen will.«
»Haben sie einen großen Vorsprung?«
»Carvajal und Montilla sind bestimmt schon in Callao. Ihre Expedition hatte Vorrang. Und ich garantiere Ihnen, sobald sie in Peru von Bord gehen, wird Carvajal aus dem Schatten hervortreten und den Ton angeben, und der Marqués wird zu seinem Handlanger. Dort wird er in seinem Element sein.«
»Sie werden sehr vorsichtig sein müssen. Diese Leute warten auf Sie.«
»Es werden nicht die Einzigen sein, die uns erwarten. Ich habe Bescheid gegeben, dass man uns am Hafen abholt.«
Während sie auf dem Postschiff die Küste entlang Richtung Süden segelten, zog Meilen um Meilen gleichförmiges Land an |244| ihnen vorbei. Von Guayaquil bis Paita erblickten sie nur trockene Wüste ohne weitere Anzeichen von Leben als ein paar geisterhafte, knorrige Bäume. Dahinter war die Gebirgskette der Anden zu sehen, die die Rauheit des Meeres in Stein nachzubilden schien und sich dem Blick des Betrachters als unüberwindliche, sich über den schmalen Küstenstreifen erhebende Barriere darbot. Nur ganz vereinzelt bahnte sich ein wenig schüchternes Grün seinen Weg durch diese ockerfarbene Einöde, der schmale Saum eines kleinen Bächleins, das sich durch die Berge kämpfte.
Der Anblick blieb nahezu unverändert, bis sie eines Abends den Leuchtturm und das Zuchthaus auf der Insel San Lorenzo erblickten. Trostlos und
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