Quitt
wieder herabnehmen, weil man sich überzeugte, daß der Schnee, drin der Wagen stak, erst fortgeschaufelt werden müsse. Das bot Schwierigkeiten genug, und um so mehr, als man in der Eile und Erregung das Grabscheit oben im Walde hatte liegenlassen. Indessen Lehnert wußte auch hier zu helfen. Er nahm ein paar Bretter heraus, welche die Rückenlehne des Wagens bildeten, und begann mit Hilfe derselben die Räder freizuschaufeln, wobei Kaulbars und Toby natürlich halfen. Und nun konnte man das Gefährt mit verhältnismäßiger Leichtigkeit wenden und ihm die Richtung auf den Rückweg geben. Einen Augenblick noch, so setzte sich Uncas an die Spitze, den Weg durch den Schnee hin ausspürend, und ihm folgend, mahlte das Fuhrwerk langsam heimwärts auf Nogat-Ehre zu.
Neunundzwanzigstes Kapitel
Erst um sechs Uhr – es war längst dunkel geworden, und nur der Schnee leuchtete – trafen unsere Freunde wieder in Nogat-Ehre ein, wo man ihrer Rückkehr seit Stunden in banger Erwartung entgegengesehen hatte, selbst von seiten Obadjas, zu dessen Lebensregeln es sonst gehörte, sich nicht mit Vorängstigungen zu quälen. Seltsamerweise war es diesmal Maruschka gewesen, die, während all dieser Stunden voll Angst und Sorge, das recht eigentliche Trosteswort gefunden hatte. Sie seien ausgefahren, so hatte die gute Alte gesagt, um dem Christkind einen Baum zu holen, und das Christkind werde die liebe Ruth auch schützen. Denn Ruth sei ein darling und ein pet, im Himmel geradesogut wie auf Erden, und die liebe Jungfrau Maria – Maruschka vergaß in ihrer Aufregung ganz Obadjas Gegenwart –, die liebe Jungfrau Maria wisse nur zu gut, daß die alte Maruschka ohne Ruth nicht leben könne, und werd ihr das nicht antun. So hatte Maruschka getröstet, und Obadja, der wohl wußte, was ein treues und gläubiges Herz bedeute, auch wenn es in der alten Irrlehre stecke und seine Gebete bloß an die Heilige Jungfrau richte, hatte der Alten Hand genommen und mit bewegter Stimme gesagt: »Ja, Maruschka, du hast recht. Das Christkind wird unsere Kinder schützen.« Zeuge dieser Unterredung war auch L'Hermite gewesen, der schon seit Stunden unten war und beinah noch ängstlicher als die beiden Alten nach dem Gefährt auslugte, noch ängstlicher, weil sein Vertrauen auf eine Hilfe von oben, trotzdem er eben ein Christkind in Wachs bossiert und es einer gleichfalls von ihm herrührenden Jungfrau Maria in den Schoß gelegt hatte, ziemlich gering war. Nebenher aber verschwor er sich ein Mal über das andere gegen diesen preußisch-hyperboreischen Tannenbaumkultus, der an all dieser Angst und Sorge törichterweise schuld sei. Warum es denn durchaus eine Tanne sein müsse? Das sei nichts als eine bêtise allemande, deren Vater oder Urahne niemand anders als dieser wohlgenährte »Monsieur Luther« sei, ein Mann ohne Taille, so recht der Typus eines Deutschen, mit seinen Päffchen und seinem tête carrée. Schade, daß man ihn nicht zu Beginn seiner Laufbahn verbrannt habe, denn Ruth sei wichtiger als Luther.
Dieser Groll über den Tannenbaumkultus hielt aber nicht vor, ja, ging rasch in sein Gegenteil über, als man, tags darauf, den Baum ohne Rücksicht auf seine Wurzellosigkeit in eine mit kleinen Steinen und Erde gefüllte Tonne gepflanzt und beides, Baum und Tonne, neben dem in der großen Halle stehenden Eßtisch aufgestellt hatte. Ihn hier auszuschmücken war, von Stund an, die Freude aller, am meisten L'Hermites. Bis zu Mannshöhe machte sich dies leicht, dann aber mußten Stehleitern aushelfen, um zunächst, und zwar oben an der Spitze des Baumes, einen Weihnachtsengel anzubringen. L'Hermite, glücklich damit zustande gekommen, blieb eine Viertelstunde lang oben in seiner Höhe, während welcher Zeit Ruth und Maruschka hinaufreichten, was alles in den voraufgehenden Tagen ausgeschnitten, vergoldet und versilbert worden war. Lehnert und Toby aber beschäftigten sich mittlerweile mit Herstellung einer transparenten Krippe, in deren Vordergrund alle die bekannten auf Pappe geklebten Christnachtfiguren standen. Nur einer der drei Könige aus dem Morgenland, der Alte mit dem Bart, war von L'Hermite plastisch ausgearbeitet worden und sah aus wie Obadja. Das alles geschah im großen Hause. Natürlich verhielt sich auch Mistress Kaulbars nicht träge. Sie buk, tagaus, tagein, ihre Mandel- und Rosinenkuchen, auch solche mit Ingwer und Kardamom, deren würziger Duft, trotzdem das Küchenwesen im Nebenhause lag, das ganze Vorderhaus durchzog.
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