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Quo Vadis

Quo Vadis

Titel: Quo Vadis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk Sienkiewicz
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erschraken Kinder vor dem Geheul der Bestien und dem Lärm im Amphitheater und schrien laut. An Cyrus’ Seite ging Vinicius umher, forschte in den Gesichtern, stieß einigemal mit dem Fuß an Ohnmächtige, denen das Gedränge und die furchtbare Hitze das Bewußtsein genommen hatte, und ging weiter in die dunkle Tiefe dieses Raumes, der für sich schon ein riesiges Amphitheater zu sein schien.
    Plötzlich blieb er stehen, denn eine bekannte Stimme drang an sein Ohr. Er horchte, wandte sich um und ging in der Richtung der Stimme zurück. Ein Lichtstrahl fiel auf das Gesicht des Sprechers, und Vinicius erkannte unter einem Wolfsfell den unerbittlichen Crispus.
    „Beweint eure Sünden“, rief er, „denn die Stunde ist nahe! Wer da meint, durch den Tod seine Sünden zu tilgen, begeht eine neue Sünde und fällt dem ewigen Feuer anheim. Mit jeder begangenen Sünde habt ihr das Leiden des Herrn erneuert; wie dürft ihr da glauben, das Leiden, das euch erwartet, werde die Sünde tilgen? Heute werden der Gerechte und der Sünder gleichen Todes sterben; doch der Herr wird die Seinen finden. Wehe euch! Die Klauen des Löwen werden eure Leiber zerreißen, aber nicht eure Sünden, eure Strafe. Der Herr hat Erbarmen genug gezeigt, indem er sich ans Kreuz nageln ließ; von jetzt an ist er bloß noch der Richter, der keine Beleidigung unbestraft läßt. Wer da vermeint, durch die Marter seine Sünden zu tilgen, lästert Gottes Gerechtigkeit und wird um so tiefer in die Hölle sinken. Barmherzigkeit hat aufgehört; die Stunde des göttlichen Zornes ist gekommen. In kurzem steht ihr vor dem schrecklichen Richter, vor dem der Gerechte selbst erzittert. Beweint eure Sünden, denn der Schlund der Hölle steht offen. Wehe euch, Gatten und Gattinnen; wehe euch, Eltern und Kinder!“
    Er streckte die fleischlosen Hände aus, unerbittlich selbst in der Todesstunde.
    Stimmen erschollen: „Wir beweinen unsere Sünden!“ Dann folgte wieder Stille, die nur von schreienden Kindern unterbrochen wurde.
    Vinicius schauderte. Er, dessen ganze Hoffnung in der Barmherzigkeit des Heilandes ruhte, hörte jetzt, die Stunde des Zornes sei gekommen, selbst der Tod in der Arena erwirke kein Erbarmen. Zwar schoß ihm blitzschnell der Gedanke durch den Kopf, Petrus würde in solcher Stunde anders gesprochen haben. Dennoch füllten diese schrecklichen Worte den finsteren Raum, hinter dessen Gitter das Martyrium wartete, mit Entsetzen. Die Nähe der Marter und die Menge der bereits zum Tode angekleideten Opfer machte ihn schaudern. Der Anblick schien ihm tausendmal fürchterlicher als jede Schlacht, deren Zeuge er gewesen war. Die Luft begann erstickend zu werden; kalter Schweiß trat auf seine Stirn. Er fürchtete, ohnmächtig zu werden wie die, über deren Leiber er gestolpert war. Jeden Augenblick konnte das Gitter geöffnet werden. Darum rief er laut nach Lygia und Ursus, in der Hoffnung, wenn nicht sie, so würden doch Bekannte antworten.
    Wirklich erwiderte eine dunkle, in ein Bärenfell gehüllte Gestalt:
    „Herr, sie blieb im Kerker zurück. Ich war der letzte, den man hinausführte, und sah Lygia krank auf dem Lager ausgestreckt.“
    „Wer bist du?“ fragte Vinicius.
    „Der Steinbrecher, in dessen Hütte du getauft wurdest. Vor drei Tagen wurde ich in den Kerker geworfen, heute sterbe ich.“
    Vinicius fühlte sich erleichtert. Als er eintrat, war es sein Wunsch gewesen, Lygia zu finden; nun aber dankte er Gott, daß sie nicht da war, und sah darin ein Zeichen der Erhörung.
    Der Steinbrecher fuhr fort:
    „Erinnerst du dich, Herr, daß ich dich in den Weinberg des Cornelius führte, als der Apostel in der Hütte predigte?“
    „Ja.“
    „Ich sah ihn später wieder, am Tage vor meiner Gefangennahme. Er segnete mich und versprach, im Amphitheater zu sein und die Sterbenden zu segnen. Wenn ich ihn und das Zeichen des Kreuzes sehen könnte, würde ich leichter sterben. Wenn du seinen Platz kennst, so laß es mich wissen.“
    Vinicius dämpfte die Stimme, als er erwiderte:
    „Er sitzt unter den Leuten des Petronius, als Sklave verkleidet. Ich weiß nicht, welche Plätze sie eingenommen haben, doch ich will nachsehen. Schaue nach mir hinauf, sobald du die Arena betrittst. Ich werde aufstehen und ihnen mein Gesicht zuwenden, so daß deine Augen den Apostel finden.“
    „Hab Dank. Friede sei mit dir!“
    „Der Heiland sei dir gnädig!“
    „Amen!“
    Vinicius kehrte ins Amphitheater zurück, wo er seinen Platz nahe bei Petronius und den

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