Rabenblut drängt (German Edition)
Konzertsaal eingelassen werden würde, aber ich winkte ab.
Draußen schlug mir ein eisiger Wind entgegen.
Der Platz vor dem Rudolfinum war nur spärlich beleuchtet und menschenleer. Ich fluchte über die engen Sandalen, die mich bei jedem Schritt schmerzten. Wieso hatte ich mich nur so ausstaffieren lassen?
Eigentlich war es jetzt auch schon egal. Und auch auf die Gefahr hin, dass ich meine Füße nie wieder in die Dinger reingequetscht bekäme, streifte ich sie mir von den Füßen und genoss die neugewonnene Freiheit. Ich lief über das feuchte Gras in der Mitte des Platzes und sofort befiel mich die Erinnerung an die Nacht, in der Alexej und ich uns geküsst hatten. Da war ich auch barfuß gewesen.
Nach einigen Minuten trieb mich die Kälte wieder ins Foyer. Ich wollte dort auf Timo und Lara warten und mir so lange anschauen, wie sich das Licht der Kristallleuchter in den Gläsern widerspiegelte. Oder ich könnte ein wenig seufzen. Mir war sehr nach Seufzen.
Ich stieß die schwere Eingangstür auf. Mit den Sandalen in der einen Hand und der Handtasche in der anderen schlenderte ich an den Fenstern entlang.
Da ich sowieso nie eine Uhr trug, konnte ich es mir sparen, auf mein nacktes Handgelenk zu gucken. Schade, dass man hier so wenig aus dem Konzertsaal hören konnte. Meine Füße machten ein leises › patsch, patsch ‹ auf dem Fußboden. Wie dunkel es draußen war und wie die Fenster alles widerspiegeln, überlegte ich gerade. Da sah ich plötzlich die Umrisse einer Gestalt in dem Fenster, an dem ich gerade vorbei gegangen war.
Ich drehte mich um und entdeckte ihn auf der anderen Seite des Raumes.
Mir wurden sofort die Knie weich.
Alexej lehnte lässig an der Wand, die Füße übereinandergeschlagen und beide Hände in den Hosentaschen. Diesen Blick hatte ich schon einmal gesehen. Er hatte die Lider halb gesenkt und schaute mich durch seine langen Wimpern hindurch an.
Wie lange stand er schon da? Und warum konnte ich nie den tollen Auftritt haben, sondern musste auch noch barfuß herumtapsen?
Er nahm die Hände aus den Hosentaschen und stieß sich von der Wand ab. Ich wollte etwas sagen. ›Guten Abend‹ zum Beispiel, oder ›Schön dich mal wieder zu sehen‹, aber meine Kehle ließ keinen einzigen Ton heraus.
»Isabeau«, sagte er und sein Blick wanderte an meinem Kleid hinunter. Ich dachte an den tiefen Ausschnitt und gab Lara einen gedanklichen Rippenstoß.
Alexej lächelte. »Ich bin überrascht, dich hier zu sehen.«
Wie schön seine Stimme war - so warm und dunkel. Aber was hieß hier überrascht? Er sah überhaupt nicht überrascht aus. Wie immer war er souverän und vollkommen Herr der Lage.
»Du hast wundervoll gespielt«, brachte ich hervor. Aber er schien mir gar nicht zuzuhören.
»Du siehst hinreißend aus«, sagte er.
In meinem Magen flatterte es.
»Ich bin hingerissen. Von dir.«
Lieber Gott, lass das kein Traum sein!
Seine Hände berührten mein Gesicht.
Als er die Augen schloss, warfen seine Wimpern zarte Schatten auf seine Wangenknochen. Ich dachte noch daran, wie stark seine Lippen aussahen. Wie kraftvoll. Wie etwas, dass von Michelangelo in Marmor gemeißelt werden sollte.
Dann küsste er mich.
Hassliebe
J aro ließ sich Zeit, eigentlich hatte er spätestens zum zweiten Teil des Konzerts hier sein wollen. Mit Sicherheit wurde er bei Arwed aufgehalten. Ich lehnte mich an die Wand und dachte an den General. Ich würde auf sie warten und mich freiwillig ihrem Zorn ausliefern müssen.
Gerade war eine Kellnerin damit beschäftigt, die geleerten Gläser fortzuräumen und die Tischdecken auszutauschen. Sie verschwand durch eine Tür, und ich schlug entspannt die Beine übereinander.
Die Eingangstür ging auf und ein smaragdgrünes Seidenkleid rauschte herein. Ich starrte auf ein paar nackte Füße und spürte eine seltsame Erregung in mir. Da war wieder dieses Flüstern, das mich innerlich lockte, das mich heute den ganzen Abend schon begleitet hatte.
Sie war hier! Ich konnte es kaum glauben. Nur wenige Meter entfernt lief sie barfuß an den Fenstern entlang. Ich dankte Gott dafür, dass er mir diesen Vorsprung gewährte und sie mich noch nicht gesehen hatte. Du bist jetzt kein Rabe, du bist ein Mann, und sie wird auch nichts anderes in dir erkennen können!
Ich musste mich nicht verstecken und ich musste auch nicht befürchten, dass sie mich überraschte und enttarnte. Ich war sicher, wenigstens im Moment.
Ich dachte an unsere letzte Begegnung im Wald,
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