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Rabenblut drängt (German Edition)

Rabenblut drängt (German Edition)

Titel: Rabenblut drängt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikola Hotel
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nach.
    »Manchmal fallen mir solche Kleinigkeiten ein, aber es sind nur Fragmente.«
    Sie nickte, und ich hatte das Gefühl, sie könnte meine Gedanken auf meiner Stirn lesen. Langsam strich ich mir die Haare aus dem Gesicht und senkte die Lider. Sie folgte jeder meiner Bewegungen.
    »Und d-du heißt wirklich Alexej?«, fragte sie stockend.
    »Es war der Name, der mir direkt in den Sinn kam, als ich aufwachte«, sagte ich.
    Sie nickte. Dann bückte sie sich plötzlich und schob vor ihren Füßen ein paar Blätter beiseite. Ich sah deutliche Pfotenabdrücke. Isa nahm mit ihrer Hand Maß. Der Abdruck war so groß, wie ihr ganzer Handballen.
    »Treffer!«, freute sie sich. »Man kann die ovalen Zehenballen gut erkennen. Und darunter ist der Hauptballen, der aussieht, als wäre er dreigeteilt. Definitiv ein Luchs!«
    »Sind dir eigentlich in letzter Zeit vermehrt Raben aufgefallen?«, wagte ich einen Vorstoß, während ich sie mit den Spuren beschäftigt glaubte. »Keine Krähen, sondern Kolkraben, mit einem klobigen Schnabel und einem keilförmigen Schwanz?«
    Isa betastete weiter den Boden und überlegte. »Und mit struppigen Kehlfedern wie ein unrasierter Bart?« Sie schaute zu mir hoch und ich hatte das Gefühl, mein letzter Atemzug hätte sich in meiner Kehle quer gestellt. War das nur ein unbedachter Vergleich von ihr, oder ahnte sie etwas? Ich holte erneut Luft, konnte aber nicht verhindern, dass mein Körper ein Ächzen von sich gab.
    »Ja«, krächzte ich, und befürchtete, mit diesem Laut meine ganze Seele zu offenbaren.
    »Witzig, dass du danach fragst!« Sie fuhr sich durch das dunkle Haar und verteilte unbedacht ein paar Blätter darin. »Weil ich nämlich zufälligerweise einen ganzen Schwarm Kolkraben gesehen habe. Und zwar, als ich deinen Raben begraben habe. Wie hieß er noch gleich?«
    »Pavel.«
    Sie grinste triumphierend. Und ich versuchte nicht daran zu denken, wie ich ihr am schnellsten den Hals umdrehen könnte.
    »Also: Als ich deinen -«, sie machte eine künstliche Pause, »- Pavel begraben habe, schwirrte ein ganzer Schwarm über mir. Vermutlich ein Kondolenzbesuch.«
    Wie Recht sie doch damit hatte. Ich schloss gequält die Augen, und sie bemerkte es sofort.
    »Es tut mir leid.« Sie stand auf und hielt mich am Arm fest. Ich musste meine ganze Willenskraft aufbringen, sie nicht grob von mir wegzustoßen. Meine Hände zitterten, und in meinem Mundwinkel zuckte es.
    »Es tut mir leid«, sagte sie noch einmal. »Ich wollte dir damit nicht wehtun. Manchmal geht meine Zunge mit mir durch.« Sie sah sehr reuevoll aus.
    »Jemand sollte sich erbarmen und sie dir aus dem Hals schneiden«, erwiderte ich unerwartet feindselig. Sie blickte mich erschrocken an. Das hatte ich nicht gewollt.
    »Es war nur ein Scherz, Isa.«
    Sie zuckte zusammen, als ich ihren Namen nannte.
    »Isa«, hauchte ich beinahe zärtlich. »Es war nicht so gemeint.« Ich streckte meine Hand aus und zog einige Blätter aus ihrem Haar.
    Sie schwankte, und diesmal war ich es, der sie stützte. Verlegen wehrte sie meine Hand ab.
    »Was ist das eigentlich für ein Name? Isabel?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Sag ich nicht.«
    »Wie bitte?«
    Sie stieß sich von mir ab und stapfte den Weg zurück, der uns zu den Fahrrädern führen würde.
    Ich folgte ihr.
    »Und warum nicht?«, fragte ich, vor Neugierde gefesselt.
    »Weil es peinlich ist«, schimpfte sie und stiefelte weiter.
    »Isabella?«
    »Nein.«
    »Isadora?«
    »Hör auf!«
    »Isamaria?«
    »Oh Himmel!«
    Bis zum Waldrand war es nicht mehr weit, und sie rannte beinahe.
    Ich amüsierte mich köstlich.
    »Also gut«, rief ich ihr hinterher. »behalte es besser für dich, wenn es so furchtbar ist!«  
    Sie blieb abrupt stehen, genau so, wie ich es erwartet hatte, und funkelte mich böse an. »Wenn du es unbedingt wissen musst: Isabeau!«, rief sie zurück und marschierte zu den Fahrrädern.
    »Und wer aus deiner Familie hat eine Vorliebe für das Altfranzösische?«, fragte ich interessiert.
    Sie grummelte vor sich hin. »Meine Mutter.«
    »Ist sie Französin?«
    »Natürlich nicht! Sie geht gerne ins Kino.«
    »Aha.«
    »Hör zu: Meine Mutter war hochschwanger und hat im Kino einen Film gesehen, in dem die Hauptdarstellerin zufällig Isabeau hieß. Das ist alles!«
    »Was war das für ein Film? Ein Historienepos?«
    »Sehr witzig!«
    »Es interessiert mich wirklich«, versuchte ich sie zu beschwichtigen. »War Isabeau die Heldin des Films?«
    Isa rang sich zu einer Antwort durch.

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