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Rabenblut drängt (German Edition)

Rabenblut drängt (German Edition)

Titel: Rabenblut drängt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikola Hotel
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Isabeaus Kopf flog zu mir herum. Der Blick, den sie mir zuwarf, hatte etwas erkennbar Flehendes.
    »Na, wer traut sich? Das hier -«, ich deutete auf den Waldboden zu meinen Füßen, »- ist kein Vergleich dazu! Denn bei glühenden Kohlen weiß man, dass sie heiß sein werden. Der Waldboden ist ein Risiko, man weiß nie, was einen erwartet.«
    Skeptische Blicke trafen mich. Misstrauisch, aber interessiert. Ich trat auf eines der Mädchen zu. Eine rotgesichtige Blondine.
    »Würdest du mir deinen Schal leihen?«, fragte ich und zog ihn ihr, ohne die Antwort abzuwarten, von den Schultern. Dann suchte ich mir einen Jungen aus, einen mit einem frechen Gesicht, und deutete ihm, seine Schuhe auszuziehen.
    »Ich muss wohl, oder?«, fragte er mit gespielter Verzweiflung, schlüpfte aber ohne zu zögern aus seinen abgenutzten Tretern heraus. Ich band ihm den Schal über die Augen, drehte ihn ein paar Mal um sich selbst und schubste ihn an.
    »Man weiß wirklich nie, was einen erwartet«, wiederholte ich und spazierte träge neben dem Jungen her. »Natürlich ist der Waldboden nicht heiß, aber jeder der schon einmal in einen Ameisenhaufen getreten ist, wird wissen, dass Ameisensäure ebenso feurig brennen kann!«
    Der Junge stöhnte und ein paar Mädchen kicherten verhalten.
    »Nicht nur das: Dieses Feuer kann sogar eine gefräßige Spur an deinen Beinen hochlecken, wenn die roten Biester hochkrabbeln.« Ich machte eine Pause. »Und das tun sie meistens.«
    »Na toll!«, knurrte mein Opfer zwischen den Zähnen hervor.
    »Vielleicht hast du Glück, und trittst nur in den schleimigen Auswurf einer Nacktschnecke«, tröstete ich ihn. Die Mädchen kreischten angeekelt auf. Es begann, mir Spaß zu machen. Ich schob den Jungen weiter. Mit ausgestreckten Armen tastete er sich an einem Baum entlang und schrie plötzlich angewidert auf.
    »Was war das denn?« Er schüttelte seine rechte Hand aus. »Das war total weich und matschig!«
    »Nur ein Pilz.«
    »Ist das ekelig!« Gelächter begleitete ihn.
    »Ich will auch mal!« grölte jemand.
    »Kannst gerne übernehmen!«
    Ich klopfte dem Jungen auf die Schulter. »Vielleicht kommt dir auch die Jahreszeit zugute. Nacktschnecken oder Käfer sind jetzt kaum noch unterwegs.«
    »Danke, das ist sehr nett, dass Sie das erwähnen.«
    »Spinnen haben allerdings gerade Saison«, klärte ich ihn auf.
    »Iiiiiiih!« Die Mädchen kreischten.
    »Keine Sorge: Ihr Gift ist für ein Lebewesen unserer Größe völlig harmlos.«
    »Ich wusste es immer, ich bin ein Glückspilz.«
    »Das bist du«, stimmte ich ihm zu. »Die Spinnenweibchen tragen ihre Eier in einem weißen, klebrigen Kokon am Hintern. Ein wenig schmierig ist das schon, wenn du sie zerquetschst.«
    Der Junge biss angestrengt die Zähne zusammen, setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen und spreizte seine nackten Zehen ab, um den Boden so wenig wie möglich zu berühren.
    »Uah!« Er sprang zur Seite. Mit dem linken Fuß war er über ein paar angefaulte Blätter gerutscht, und fing an zu schwitzen.
    »Da wird einem sogar im November warm, nicht wahr?«
    »War’s das jetzt?«
    »Nur noch ein paar Schritte. So, jetzt hast du es geschafft!«
    Der Junge riss sich den Schal vom Gesicht und untersuchte hektisch den Boden in seiner Umgebung. Als er nichts Ekelerregendes entdecken konnte, blies er erleichtert einen Stoß heißer Luft aus. Ich reichte ihm seine Schuhe.
    »Das war sehr mutig von dir.«
    Er grinste schief. Seine Freunde lachten und zeigten ihm den Weg, den er zurückgelegt hatte. Die Stimmung hatte sich verändert, und einige begannen, sich genauer umzusehen.
    »Räumt hier eigentlich nie einer auf?« fragte ein großer, schlanker Junge mit schwarzen Haaren.
    »Ich meine, hier sieht es echt übelst aus, oder?« Er zeigte auf einen Windwurf etwa hundert Meter entfernt, der eine Schneise in den Wald geschlagen hatte: Dutzende Fichten moderten dort vor sich hin.
    »Das ist ja gerade der Unterschied zu einem Wirtschaftswald«, erklärte Isabeau. »Im Nationalpark werden keine Bäume entfernt, sie dürfen aufrecht sterben oder werden von einem Sturm gefällt. Sie bilden die Grundlage für einen neuen Bewuchs und bereiten den Boden vor. Das ist ein ganz natürlicher Vorgang.«
    »Aber sie haben doch gerade erzählt, dass diese faulen Bäume die Käfer anlocken, oder nicht?«
    »Da hast du recht. Man geht aber davon aus, dass sich das Problem naturgemäß klärt, das heißt, ohne unser Zutun.«
    »Aber diese Käfer können doch auf die

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