Rabenblut drängt (German Edition)
übernahm die rechte Flanke und ich die linke. Es sollte ein Überraschungsschlag werden. Wir dachten, dass sie irritiert von dem Staubgrauen ablassen würden«, erklärte ich, und diese Lüge kam mir geschmeidig von den Lippen.
Pavels Mutter wartete angespannt, obwohl sie den Ausgang der Geschichte kannte.
»Der Hund erwischte ihn an seiner empfindlichsten Stelle. Es hat ihm sofort das Genick gebrochen. Hätte ich Pavel nicht auf diese Seite geschickt -. Es war ein Unglück. Wäre ich dort gewesen, dann -. Um mich würde keine Mutter trauern«, schloss ich.
»Deine Großmutter -«, begann sie plötzlich.
»Das spielt keine Rolle«, unterbrach ich sie. »Jedenfalls muss ich die Verantwortung dafür übernehmen. Es war ein Fehler, ihn bei uns aufzunehmen, ohne mich wäre Pavel vermutlich noch am Leben.«
Ich ergriff ihre rechte Hand, sie war schlaff und kalt.
»Es tut mir leid. Es tut mir unendlich leid.«
Ihr Körper versteifte sich, Tränen glitzerten in ihren Augen - der letzte Rest von denen, die sie bereits vergossen haben musste. Sie entzog sich mir, holte aus und schlug mir mit der flachen Hand ins Gesicht.
Ich hatte nicht einmal versucht, mich zu schützen. Ihr Schlag war kraftlos gewesen - und ich wünschte mir das Gegenteil. Ich lechzte geradezu nach Bestrafung. Aber das bedeutet nur, dass ich mich danach sehnte zu sühnen. Doch es gab keine Sühne für mich. Ich konnte Abbitte leisten, mich entschuldigen, aber das war nichts - gar nichts.
Margaretes Schultern hörten auf zu beben, mit einem Taschentuch wischte sie sich über die Augen.
»Verzeih mir, Aki.« Mit eiskalten Fingern tätschelte sie mir die Wange. Wieso erinnerte sie mich jetzt an diesen Namen? Wir alle hatten einen Spitznamen, der nicht von unserem Rufnamen abzuleiten war, das war in unseren Familien üblich. Wollte sie mich jetzt darauf hinweisen, dass wir zusammengehörten - ein gemeinsames Schicksal hatten?
Vor Jahren hatte Nikolaus mich Alexej genannt, um damit zu brechen, und das hatte mir gefallen.
»Da gibt es nichts zu verzeihen«, antwortete ich.
»Es ist furchtbar für mich, zu sehen, wie Jaro jetzt versucht, Pavels Platz einzunehmen.«
»Ich bezweifle, dass er eine Wahl hatte.«
»Du verstehst nicht«, sagte sie anklagend. »Er ... er ist geradezu begeistert. Er freut sich sogar darüber, dass er jetzt diesen Fl... dieses Schicksal erfüllen muss.«
»Sie können es ruhig Fluch nennen. Ich habe es selbst oft genug getan«, erwiderte ich. »Warum schicken Sie ihn nicht in ein Internat?«
»Jaro? Aber das wäre eine Katastrophe! Er kann sich nicht kontrollieren. Er ist eine ständige Bedrohung für uns. Ich lebe in der fortwährenden Angst, dass er sich vor aller Augen verwandelt. Es ist viel schlimmer als bei Pavel.«
»Dann schicken Sie ihn doch zu Verwandten ins Ausland. Dort wäre er nur der verschrobene Tscheche, dem man ein seltsames Benehmen verzeiht. Vielleicht lenkt ihn eine neue Umgebung ab?«
»Er würde nicht gehen. Alles, wofür er sich interessiert, ist der Schwarm. Er redet von nichts anderem mehr.«
»Es ist etwas spät dafür, ihn übers Knie zu legen, aber vielleicht nicht zu spät«, sagte ich scherzhaft, aber Margarete nickte beflissen.
»Wir haben schon alles versucht!«
Ihr Gesichtsausdruck dabei ließ mich erschauern.
»Was haben Sie getan?« Meine Wangenmuskeln verkrampften sich.
»Wir haben ihn eingesperrt, aber es hat nicht geholfen. Irgendwie hat er sich immer befreien können, und hinterher war er dann noch störrischer.«
»Sie haben ihn eingesperrt?«, wiederholte ich, und der Magen drehte sich mir um.
»Lulu hat den Käfig von ihren Sittichen verwahrt, nur für alle Fälle. Aber selbst das hat seinen Willen nicht brechen können.«
Eine unbändige Wut stieg in mir hoch. Wie konnte sie das nur wagen? Ihren eigenen Sohn einsperren, als hätte er als Rabe kein Anrecht auf den freien Willen, der ihm als Mensch zustand? Hatten unsere Väter nicht genau dafür gekämpft? Dafür, dass wir in einem freien Land leben konnten?
»Wo ist Jaro jetzt?«
»Wieso? Er ist in seinem Kinderzimmer. Ich habe Sicherheitsschlösser an den Fenstern anbringen lassen, damit er nicht einfach davonfliegt.«
Ich wandte mich angewidert von ihr ab und öffnete die Tür.
»Und wo ist sein Zimmer?«
Sie deutete in den Gang. »Das Vorletzte auf der linken Seite«, antwortete sie irritiert.
Ich ließ ihr keine Zeit mein Tun in Frage zu stellen und schritt rasch durch den Flur. Der Schlüssel steckte noch im
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