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Rabenblut drängt (German Edition)

Rabenblut drängt (German Edition)

Titel: Rabenblut drängt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikola Hotel
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das Fenster. Sie hielt es eine Handspanne weit offen, damit ich hineinhüpfen konnte.
    Ich war gefangen.
    Das Mädchen hatte sich von mir abgewandt, ging auf einen glänzend lackierten Schrank zu und öffnete die rechte Tür.
    »Hier sind einige Anziehsachen von Pavel«, sprach sie in den Raum, ohne mich anzusehen. Dann ging sie hinaus. Mir blieben sicher nur wenige Minuten. Also versuchte ich meinen Herzschlag zu verlangsamen, indem ich ruhiger atmete, konzentrierte mich ganz auf mich selbst. Es fiel mir wesentlich leichter, mich in einen Raben zu verwandeln als umgekehrt: Es geschah instinktiver, kostete mich keine Überlegung, sondern einfach nur Hingabe. Ich ließ das Rabenblut in immer kleiner werdenden Bahnen fließen und versuchte es aufzusammeln wie in einem Kelch.
    Das war das Bild, das ich mir malte. So stellte ich mir mein zweites Herz vor: Wie ein kostbares Gefäß, das die ganze Kraft meines Rabenlebens beinhaltete. Und gleichzeitig musste ich dieses andere, menschliche Herz öffnen. Wie das Spalten eines Kerns, der sich selbst zum Keimen brachte.
    Es tröpfelte nur leicht. Welche Anstrengung! Ich krallte mich an den Schlingen des Teppichbodens fest. Verbissen wollte ich das Blut fließen lassen, aber es war kaum mehr als ein Rinnsal.
    Oh Teufel - alle Inbrunst half nichts, wenn sich meine Sinne so sträubten.
    Konzentriere dich!, befahl ich mir. Denk an irgendetwas Menschliches! An etwas, dass den Mann herauslockt.  
    Aber Isabeau war auf gar keinen Fall der Gedanke, den ich zulassen wollte.
    Musik.
    Ich musste an Musik denken! Ich ließ Namen durch meine Hirnnerven tanzen. Bach - dachte ich. Bach, Bach, Bach . Ich versuchte krampfhaft, mich an irgendein Stück zu erinnern, das mein Herz stark berührte.  
    Ich tastete mich an die Melodie heran. Klavierkonzert in g-Moll. Allegro assai. Gab es etwas Lebendigeres, als diese springende, warme Leichtigkeit? Ich jubilierte innerlich und mein Herz blutete aus, verzweigte sich, breitete sich aus und nahm doch nicht überhand.
    Verflucht noch mal - mir blieb nicht mehr viel Zeit.
    Hätte ich aufstöhnen können, wäre dieser Laut aus dem tiefsten Inneren meines Leibes gekommen, aber so krächzte ich nur heiser und gab endlich nach.
    Ich ließ meine Gedanken fliegen, sah Isabeaus Augen aufleuchten: Dunkle Erde - umkränzt von sattgrünem Moos. Sofort sprudelte mein Blut wie eine aufgebrochene Quelle. Ich dachte an ihre Haut, die sich verlegen rötete, und die Quelle in mir schäumte über, überspülte den letzten Rest Rabenblut, das den Mann in mir zurückgehalten hatte.
     
    »Alexander!« Es war eine Frauenstimme, die zu mir sprach. Der Ton war nicht streng, eher überrascht, als hätte sie nicht so bald mit mir gerechnet. Ich schloss die letzten Knöpfe meines Hemdes und drehte mich um. Verlegen blieb ich stehen, denn meine Beine steckten in viel zu kurzen Hosen.
    Margarete war gealtert. Sie musterte mich von oben bis unten, registrierte, dass ich die Sachen ihres Erstgeborenen trug, und verzog schmerzhaft das Gesicht.
    »Wo ist Pavel?«, fragte sie.
    Ich räusperte mich. »Bei jemandem, von dem ich wusste, dass Sie ihm vertrauen würden: Pater Luděk.«
    »Kann ich ihn sehen?«
    Ich nickte langsam, aus Verständnis über ihren Wunsch, schüttelte dann aber den Kopf.
    »Es wäre besser, wenn Sie -«, ich hielt inne. »Vielleicht behalten Sie ihn besser so in Erinnerung, wie er auf dieser Fotografie aussieht.« Ich deutete an die mit Bildern behängte Wand. Ein Foto zeigte Pavel im Sportdress, daneben sein Bruder in kurzen Hosen und die kleine Schwester. Das einzige Foto in Farbe zwischen lauter sepiablassen Ahnen.
    »Wie ist es passiert?«
    Ich überlegte, wie ich es ihr sagen könnte. Sollte ich ihr von dem Angriff der Bluthunde berichten? Von dem Staubgrauen? Davon, dass Pavel dachte, er könne mit ihm gegen ein Rudel Hunde kämpfen? Dass er nicht auf mich hören wollte, alles nur als Spiel angesehen hat? Ich wusste nicht, wie ich beginnen sollte, geschweige denn wie enden.
    »Ich habe gehört, dass du verletzt wurdest«, sagte sie dann.
    »Wie Sie sehen, habe ich es überlebt.« Mein Ton war spöttisch, und ihr Gesichtsausdruck blieb starr.
    Also begann ich einfach: Ich erzählte von unserem Abkommen mit dem Wolf - dem Ablenkungsmanöver. Und von dem plötzlichen Auftauchen dieser Kampfhunde, die den Wolf attackierten. Und dann erzählte ich ihr, wie der Hund Pavel zu fassen bekam.
    »Es war nicht seine Schuld. Wir hatten uns abgesprochen. Pavel

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