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Rabenblut drängt (German Edition)

Rabenblut drängt (German Edition)

Titel: Rabenblut drängt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikola Hotel
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abgedrehter Gedanke war, aber ich fühlte mich Alexej viel näher, seitdem ich diesem zerzausten Raben begegnet war. Begegnet. Jetzt dachte ich schon an ihn, wie an einen Menschen!
    Wie hatte sich Alexej nur so eng mit Pavel anfreunden können? Er musste ihn schon auf sich geprägt haben, als er noch ganz klein gewesen war. Eine andere Möglichkeit gab es nicht, um einen Vogel an einen Menschen zu binden. Er musste ihn quasi als seine Mutter ansehen. Ob Alexej sich nun einen neuen Rabenfreund suchen würde? Wusste er denn, wo sie ihren Brutplatz hatten?
    Mir fiel ein, dass er mich einmal gefragt hatte, ob ich hier irgendwo Raben gesehen hätte. Und je länger ich darüber nachdachte, umso mehr Fragen tauchten in meinem Kopf auf. Die wahrscheinlich elementarste war:
    Suchte ich die Raben, weil ich vielleicht eine Meise hatte? Ich musste lachen und merkte gleichzeitig, wie hysterisch sich das anhörte.
    »Du hast keine Meise.«
    Hatte ich wieder laut gedacht?
    »Keine Angst, mit dir ist alles in Ordnung!«, sagte Lara.
    »Danke. Das ist sehr nett von dir. Tut mir leid, dass ich dir schon wieder die Ohren vollgeheult habe.«
    »Hast du nicht. Aber jetzt raus mit der Sprache! Was hast du vor?«
    »Jetzt? Ich mache mich auf die Suche nach Tierrissen und Losungen von Luchsen, wie jeden Tag.«
    »Das habe ich eigentlich nicht gemeint, aber gut. Bist du mittags wieder da?«
    »Wahrscheinlich nicht. Ich habe meine Route erweitert, das dauert ein bisschen. Aber ich habe mir etwas zu essen eingepackt.« Ich klopfte demonstrativ auf meinen Rucksack.
    »Ist es das, was hier so nach altem Fett stinkt?« Sie rümpfte die Nase.
    »Äh - kann schon sein«, antwortete ich ausweichend.
    »Und was genau hast du da eingepackt?« Sie machte Anstalten, nach meinem Rucksack zu greifen.
    »Sei doch nicht so furchtbar neugierig, Lara! Das ist wirklich sehr aufdringlich.«
    »Ich und aufdringlich? Jetzt hör aber auf!« Empört griff sie nach der Zeitung, die Marek auf dem Tisch hatte liegen lassen, und faltete sie hastig auseinander.
    »Ich wusste gar nicht, dass du dich so sehr für den Sportteil interessierst?«
    »Hau endlich ab!«
     
    Am Himmel waren heute nur schwarze Schafe zu sehen, aber das Wetter war mir völlig egal. Trotz meines Schlafmangels war ich motiviert, und ich merkte, wie sich meine Stimmung schlagartig anhob, weil ich eine Aufgabe hatte und nicht nur sinnlos grübeln musste.
    Aus einer Laune heraus ließ ich mein Fahrrad stehen. Ich hatte es nicht eilig und ein gleichmäßiger Tritt wirkte sich immer positiv auf meine Seele aus. Das hatte im wahrsten Sinne des Wortes etwas Bodenständiges.
    Alles um mich herum regte sich und wuselte. Eichhörnchen flitzten die Baumrinde empor und in unmittelbarer Nähe des Hauses grunzten freudig zwei Igel. Ich dachte daran, wie Alexej den Jungen aus der Schulklasse mit nackten Füßen durch das Laub geschickt hatte und wie er beschrieben hatte, welche Kleinstlebewesen ihre Arbeit verrichteten. Jetzt herrschte unter den Laubhaufen kein so reges Treiben mehr. Würmer, Asseln, allerhand Bakterien und Pilze arbeiteten zwar hart daran, die Blättermassen klein zu kriegen, aber die betriebsamste Phase würde erst wieder im Frühjahr losgehen.
    Als mir einfiel, wie Alexej geflüchtet war, nachdem er die Asseln gegessen hatte, schüttelte ich mich innerlich. Direkt danach hatte ich den Raben aus seinem Zimmer befreit. Ein Kolkrabe, und zwar nicht gerade ein kleiner. Wie war der eigentlich ins Zimmer gekommen, wenn das Fenster doch nur gekippt war? Komisch, dass mir dieser Widerspruch nicht früher aufgefallen war. Und hatte Alexej nicht sogar ziemlich hartnäckig nachgefragt, was für einen Vogel ich aus seinem Zimmer gelassen hatte?
    Ich wollte nicht mehr darüber nachdenken und merkte bei jedem Schritt, wie ich Ballast verlor. Das sollte man als Therapie einführen: Laufen Sie Ihren Problemen davon!  
    Ich zog den Kompass aus der Jackentasche und wartete, bis die Nadel sich eingependelt hatte, um mich zu orientieren. Nachdem ich eine halbe Stunde weitergelaufen war, konnte ich vor mir ein Bergmassiv ausmachen. Meterhohe Baumkronen behinderten meine Sicht nach oben, aber ich hörte lockende Rabenschreie und hoffte sehr, dass es die meines neuen Rabenfreunds waren.
    Die Bäume wurden lichter und ich erreichte schnaufend das erste Plateau. Jetzt riss auch die Wolkendecke auf, und die Sonne warf einen kreisenden Schatten auf den Boden. Ein großer Teil des Platzes schien über den Rand des

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