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Rabenbrüder

Rabenbrüder

Titel: Rabenbrüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Spieß um, dachte Paul mit dem versöhnlichen Vorsatz, keine Animositäten mehr aufkommen zu lassen. Schließlich war Achim sein Gast, er wollte ihm wenig-stens zum Abschied einen Kaffee kochen. Paul beschloß sogar, frische Brötchen zu holen, und schlüpfte in seinen Dufflecoat.
    Vor dem Haus traf er den Postboten, der ihm außer diversen Katalogen auch einen Brief überreichte. Noch auf der Straße riß Paul den Umschlag auf, aber Olga hatte nur den angekündigten Gepäckschein hineingesteckt und nicht einmal einen Gruß hinzugefügt.
    Nach dem Kaffeetrinken lasen sie die Zeitung, bis Paul mit der Frage herausplatzte: »Wolltest du nicht nach dem Frühstück losfahren?«
    »Nur keine Hektik«, sagte Achim, »aber was hältst du von der Idee, mich zu begleiten? Du willst doch sicher Papa in der Klinik besuchen.«
    Pauls Blick wanderte zum Gepäckschein: »Mit einem Krankenbesuch möchte ich eigentlich noch ein bißchen warten, bis ich wieder fit bin. Aber vielleicht könntest du mich bis zum Frankfurter Flughafen mitnehmen und dort absetzen; das wäre kaum ein Umweg.«
    Achim war verwundert. Wieso? Was er so plötzlich vorhabe?
    Im Grunde war Paul scharf auf einen spannenden Kriminalroman, den er für Spanien eingepackt und bereits begonnen hatte. Gerade das richtige für die nächsten trüben Tage. Er müsse dringend einen Koffer abholen, sagte er, und werde mit der Bahn wieder zurückfahren.
    Achim zeigte sich erfreut.
    Unterwegs wollte Achim wissen, was es mit dem Koffer auf sich habe.
    Paul zauderte, bevor er mit der Antwort herausrückte.
    »Eigentlich wollte ich mit einer Bekannten nach Spanien fliegen«, sagte er, »aber das darf Annette auf keinen Fall erfahren. Zum Glück ahnt sie nicht, daß auch ich durch den Unfall einen Flug in die Sonne verpaßt habe.« Kaum gesagt, bereute Paul es schon, dem Bruder Einblick in sein Liebesleben gegeben zu haben. Achims verständnisvolles Grinsen war ihm widerlich. »Du brauchst nicht in die Tiefgarage zu fahren, laß mich bei Halle B aussteigen«, bat Paul, als das Terminal auftauchte.
    Aber Achim meinte, er würde doch seinen lädierten Bruder nicht einfach so aus dem Auto kippen. Vielleicht müsse Paul lange auf die Bahn warten, dann könne man noch ein Pils zusammen trinken.
    Erst nachdem der Koffer geholt und das Bier getrunken war, erkundigte sich Paul nach dem nächsten Zug.
    »Weißt du was«, schlug Achim vor, »bevor du hier eine volle Stunde herumlungern mußt, kannst du doch schnell mit mir in die Klinik fahren. Ich wollte auf jeden Fall heute noch bei Papa vorbeischauen, er wird Augen machen, wenn wir alle beide zur Tür hereinkommen.«
    Obwohl ihn ein vages Gefühl warnte, willigte Paul ein, es war natürlich nicht unpraktisch, wenn er das heute in einem Aufwasch erledigen konnte.
    Dummerweise habe er sich nicht gemerkt, ob der Kranke im Mainzer Klinikum oder in Wiesbaden liege, sagte Achim.
    Paul suchte vergeblich in der Jackentasche nach seinem Handy, um die Mutter anzurufen.
    »Und meines ist nicht aufgeladen«, meinte Achim, »aber das ist ja weiter keine Katastrophe, wir fahren kurz zu Hause vorbei und überraschen Mama. Dann könnten wir als komplette Familie beim Alten aufmarschieren. Schau mal, ob der Blumenladen an der Ecke geöffnet hat.«
    Inzwischen war vom morgendlichen Sonnenschein nichts mehr übriggeblieben.
    Der Himmel hatte sich verfinstert, es fing an zu graupeln. »So ein Scheißwetter, dabei ist es laut Kalender bereits Frühling«, schimpfte Paul.
    Das Elternhaus war durch die dichten Tannen nur schemenhaft zu sehen. Dennoch entdeckte Achim ein Licht in der Küche. »Sollen wir wetten, daß Mama gerade einen Osterkuchen bäckt? Entweder Rosinenzopf oder Mohnstriezel .«
    ». oder Gugelhupf«, ergänzte Paul. »Weißt du noch, wie wir beim Kneten halfen und heimlich Gummibären in den Teig eingearbeitet haben?«
    Achim lachte. »Mama wurde zur Furie. Hm, ich kriege direkt Lust, mal wieder frischen Hefeteig zu naschen. Paß auf, wir spielen Indianer und schleichen uns an wie früher.«
    Achim stellte den Wagen nicht in die Einfahrt, sondern etwas verdeckt auf der Straße ab und kramte seinen Schlüsselbund aus der Hosentasche. Es erschien Paul wie ein Symbol, daß er selbst schon lange keinen Schlüssel mehr zum Elternhaus besaß. Andererseits war es sinnvoll, daß sein Bruder jederzeit Zugang hatte; Achim wohnte in der Nähe der Eltern und wurde daher häufig zu Hilfsdiensten herangezogen.
    Eigentlich kam sich Paul wie ein Depp vor,

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