Rabenfeuer - Die Flammen der Goettin
Kara und ihn jedoch ohne Fragen passieren ließ. Sie betraten einen kleinen, von Fackeln erhellten Vorraum, von dem aus man in drei Zimmer gelangen konnte. Kara ging auf die mittlere Tür zu, die dem Eingang gegenüberlag, und klopfte an. Nach einem kurzen Moment rief eine dunkle Männerstimme sie herein.
Neugierig trat Raven hinter Kara ein und besah den länglichen Raum. An den Wänden standen Regale mit Büchern und Pergamentrollen, dazwischen Truhen mit schweren Schlössern. Die Mitte des Zimmers nahm ein riesiger Schreibtisch aus Eichenholz ein, hinter dem ein alter Mann mit grauen Haaren saß, der Raven sofort an Amartus erinnerte.
Der Tempelherr erhob sich aus seinem Lehnstuhl und winkte sie zu sich. Sie gingen zum Schreibtisch und beim Anblick von Ravens humpelndem Gang runzelte der Tempelherr die Stirn. Raven unterdrückte ein Stöhnen. Das war keine gute Ausgangslage; der Herr des Tempels schien weitaus weniger Vertrauen in seine Fähigkeiten zu haben als Kara.
»Ich bin Theon«, erklärte der Tempelherr. »Von Kara habe ich erfahren, dass du Raven heißt und bei uns als Knecht arbeiten willst.« Sein skeptischer Tonfall war unüberhörbar.
Mit entschlossenem Gesichtsausdruck nickte Raven. Es musste ihm gelingen, den Tempelherrn dazu zu bringen, ihn einzustellen.
»Normalerweise bitte ich Bewerber darum, von ihrem Leben und ihren Beweggründen, in den Dienst des Tempels treten zu wollen, zu erzählen«, fuhr Theon fort. »Doch das ist bei dir ja nicht möglich.« Prüfend sah er ihn an. »Hast du Familie?«
Raven schüttelte den Kopf. Seine Mutter mochte es ihm verzeihen.
»Hast du ein Handwerk erlernt?«
Wahrheitsgemäß verneinte Raven. Seine Aussicht auf Erfolg sank damit zwar dramatisch, würde er allerdings in diesem Punkt lügen, käme es in kürzester Zeit heraus.
Wie erwartet war der Tempelherr von dieser Antwort nicht begeistert. »Wenn du kein Geselle bist, dann hast du vermutlich als Knecht gearbeitet?«
Raven nickte. Wasserknecht traf zwar nicht ganz die Aufgaben, die ihn hier erwarten würden, aber immerhin.
»Kommst du aus dem Fürstentum Torain?«, setzte Theon seine Befragung fort.
Für den Bruchteil eines Augenblicks zögerte Raven, bevor er nickte. Diese Frage hatte er nicht erwartet. Hoffentlich hatte der Tempelherr seine kurze Unsicherheit nicht bemerkt.
Doch glücklicherweise schien Theon seiner Herkunft wegen keinen Verdacht geschöpft zu haben. Sonderlich überzeugt wirkte er trotzdem nicht. »Ich glaube nicht, dass wir dich gebrauchen können«, erklärte er und schüttelte bedauernd den Kopf. »Ein lahmer Knecht, der über keine besonderen Fertigkeiten verfügt, ist nicht das, was ich gesucht habe.«
Raven fluchte innerlich. Verzweifelt trat er vor und winkelte seinen rechten Arm an und ließ seine Muskeln spielen. Eine plumpe Art, Theon auf seine Vorteile hinzuweisen, aber auf die Schnelle fiel ihm nichts Besseres ein.
Auch Kara schien die Entscheidung des Tempelherrn nicht gutzuheißen. »Bitte Theon, lass es auf einen Versuch ankommen.« Beeindruckt glitt ihr Blick dabei über seinen Arm. »Ich bin mir sicher, Raven wird sein Bestes geben. Außerdem spüre ich, dass es richtig ist, ihn hierzubehalten«, setzte sie mit eindringlicher Stimme hinzu.
Überrascht sah Raven sie an. Kara konnte nicht ernsthaft glauben, der erhabene Tempelherr ändere aufgrund ihres Gefühls seine Meinung? Das käme ihm natürlich gelegen, aber es war völlig unwahrscheinlich. Zwar war Kara eine der Tempeldienerinnen, doch sie war jung und konnte unmöglich so viel Einfluss besitzen.
Zu Ravens wachsender Verwunderung lehnte Theon Karas Bitte nicht rundweg ab, sondern strich sich nachdenklich über das Kinn. »Du weißt, ich gebe viel auf dein Urteil, Kara«, erklärte er und betrachtete Raven durchdringend. »Also gut«, sagte er schließlich seufzend, »ich gebe ihm sieben Tage, sich zu beweisen. Danach entscheide ich, ob er bleiben darf.«
»Danke, Theon«, erwiderte Kara zufrieden und stieß Raven ihren Ellenbogen in die Rippen.
Raven, der immer noch verblüfft Theon anstarrte, neigte eilig den Kopf vor dem Tempelherrn. Kara hatte es geschafft, das war unfassbar! Dankbar blickte er zu ihr. Sie nickte knapp und bedeutete ihm, mit ihr zusammen das Zimmer zu verlassen.
Er folgte ihr in den Vorraum hinaus, weiterhin erstaunt über Theons unerwarteten Sinneswandel. Letztlich konnte es ihm egal sein, was den Herrn des Tempels dazu bewogen hatte, ihm eine Probezeit zu gewähren. Genauso,
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