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Rabenfeuer - Die Flammen der Goettin

Rabenfeuer - Die Flammen der Goettin

Titel: Rabenfeuer - Die Flammen der Goettin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dana Graham
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auf Krücken gestützt den Weg zur Göttin suchten. Vor wenigen Augenblicken waren die hohen Türen des Hauptportals geöffnet worden, und die ersten Besucher stiegen bereits die Treppe zur säulengetragenen Vorhalle hinauf.
    Tomin, mit dem er das Mittagsmahl eingenommen hatte, legte ihm die Hand auf die Schulter. »Wir sollten nun ebenfalls in den Tempel gehen, damit wir noch einen guten Sitzplatz erhalten.«
    Raven nickte und folgte dem Knecht in Richtung der Treppe. Kara hatte bei Theon durchgesetzt, dass er der Zeremonie beiwohnen durfte, und Tomin nutzte seinen freien Nachmittag, ihn zu begleiten.
    »Heute sind außergewöhnlich viele Menschen gekommen«, ließ der Knecht ihn wissen. »Ich vermute, weil es die letzte Befragung vor dem Winter ist. Bei Schnee und Eis machen sich weit weniger Besucher auf die Reise.«
    Inzwischen waren sie bei der Treppe angekommen, die sich über die gesamte Breite des Tempels erstreckte. Raven runzelte die Stirn. Die Stufen waren ungewöhnlich hoch. Zum Hinaufsteigen musste er sein steifes Bein seitlich ausstellen, was in der Menschenmenge keine einfache Angelegenheit war. Den Blick auf seine Füße gerichtet stieg er nach oben und bemerkte Songan deshalb erst nach einer Weile.
    Der Wächter mit den eisgrauen Augen stand am oberen Ende der Treppe und beobachtete die ankommenden Besucher scharf. Als er Raven sah, verfinsterte sich sein ohnehin grimmiger Gesichtsausdruck noch mehr.
    »Er ist eifersüchtig auf dich, Raven«, flüsterte Tomin ihm zu, während sie weiter hinaufstiegen. »Songan umwirbt Kara seit längerem, bis jetzt noch ohne Erfolg. Dass sie so viel Zeit mit dir verbringt, ärgert ihn maßlos.«
    Verwundert sah Raven den Knecht an. Diese Erklärung machte Songans Abneigung ihm gegenüber verständlich, aber durfte sich der Tempelwächter überhaupt Hoffnungen auf Kara machen? Schließlich war sie die Seherin!
    Tomin schien ihm die Frage am Gesicht abzulesen. »Während ihrer Zeit als Seherin darf die jeweilige Frau nicht heiraten. Danach sind die Seherinnen beliebte Gemahlinnen: Sie stehen unter der Gnade der Göttin und gebären starke, gesunde Kinder, von denen jedes das Erwachsenenalter erreicht. Außerdem ist eine Seherin unbezweifelbar noch Jungfrau.« Er grinste. »Unberührtheit ist eine Voraussetzung, denn das Befragen des Feuers entzieht dem Körper der Frau viel Kraft. Ein ungeborenes Kind könnte dabei Schaden nehmen. Hätte eine Seherin bei einem Mann gelegen, würden sich die Flammen bei der Befragung weiß färben, und sie müsste ihr Amt sofort aufgeben. Zum Schutz ihres eigenen Lebens darf jede Seherin nur zwei Jahre lang das Feuer befragen«, erklärte er und zwinkerte ihm zu. »Du musst also noch ein bisschen auf Kara warten.«
    Raven schüttelte abwehrend den Kopf und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Treppe, doch Tomin lachte nur. »Mir kannst du nichts vormachen – sie interessiert dich.« Er ignorierte Ravens bösen Seitenblick und sprach munter weiter. »Kara ist eine prachtvolle Frau, ich würde gerne mein Leben und mein Lager mit ihr teilen, wenn sie mich denn wollte. Leider wählen die Seherinnen meist Wächter zum Gemahl und keine Knechte.« Seine Augen blitzten. »Trotzdem habe ich das Gefühl, du solltest es bei ihr versuchen.«
    Obwohl er es nicht wollte, sah Raven vor seinem inneren Auge plötzlich Kara und sich selbst, wie sie einander küssten. Sein Gesicht verdüsterte sich. Das war ein Traum, der niemals wahr werden konnte. Unzählige Gründe sprachen dagegen, und zumindest drei davon waren Tomin bekannt. Entnervt blickte er zu dem Knecht und deutete auf seinen lahmen Arm, sein steifes Bein und seine Kehle.
    Doch dieser zuckte lediglich mit den Schultern. »Ach, man versteht auch so gut, was du sagen willst. Außerdem«, er stieß Raven den Ellenbogen in die Rippen, »hören sich Frauen sowieso am liebsten selbst reden.« Tomin kicherte und erklomm die letzte Treppenstufe. »Ich wette, Beron wäre heilfroh, wenn er Edna manchmal nicht antworten müsste.«
    Raven verdrehte die Augen, konnte allerdings nicht verhindern, ebenfalls zu grinsen. Trotz seiner ständigen Anspielungen auf Kara war Tomin ein netter Kerl, den er schätzte und mochte. Das Zusammensein mit ihm machte Spaß, und wenn er es nicht besser wüsste, würde er sagen, sie beide waren Freunde geworden. Er verzog das Gesicht. Sein Leben lang hatte er sich nach einem Freund gesehnt, der ihn so annahm, wie er war – und kaum hatte er einen gefunden, war er

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