Rabenfeuer - Die Flammen der Goettin
den Rest seines Lebens alleine sein. Niemals mehr konnte er in die Grubensiedlung zurückkehren, sonst würde er Amartus und seine Mutter in tödliche Gefahr bringen. Selbst Gorik, der ihm immer treu zur Seite gestanden hatte, war verschwunden. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als Sarwen zu verlassen und sich als Wanderarbeiter in der Fremde durchzuschlagen, wo niemand von seiner Verdammung wusste.
Abendwind kam auf und Raven begann zu zittern. Ob es Kara gut erging? Hoffentlich gab Menwin ihr einen Schlafplatz nahe der Feuerstelle! Seine Hand krallte sich ins Gras. Warum nur hatte er nicht auf sie gehört und sie zu Fürstin Ylda gebracht? Doch für Reue war es nun zu spät. Menwin würde Kara Heron übergeben, und dieser würde ihre Sehergabe für seine Zwecke missbrauchen. Falls es zu einem Krieg zwischen Sarwen und Torain kam, trug er – Raven – die Schuld daran. Sein Unbehagen, was die Prophezeiung betraf, war berechtigt gewesen, aber er hatte ihm aus Eitelkeit zu wenig Beachtung geschenkt. Ebenso wie er sein schlechtes Gewissen Kara gegenüber beiseitegeschoben hatte, weil er um jeden Preis ein Krieger hatte werden wollen. Wütend über sich selbst riss er ein Büschel Gras aus der Erde. Was hatte er erreicht? Nichts! Er war ein Geächteter auf der Flucht, ohne jede Zukunft.
Voll Bitterkeit warf Raven die Halme zurück auf den Boden. Kara hatte ihn nun schon das dritte Mal gerettet – was gäbe er dafür, ihr dafür danken und sie um Verzeihung bitten zu können. Doch er würde sie nie wiedersehen. Durch sein Versagen war sie in Herons Hände gefallen, und er konnte nichts tun, um diesen Fehler rückgängig zu machen. Wie hatte er nur jemals denken können, seine Entscheidung, Amartus aufzusuchen, könne dem Fürsten verborgen und damit ungestraft bleiben?
Trotz aller Lektionen, die ihm der Hüter des Waldes beigebracht hatte, war er ein Dummkopf geblieben. Ein vertrauensseliger, naiver Krüppel, der geglaubt hatte, sich mit einem mächtigen Herrscher messen zu können. Seine Mutter hatte ihn stets vor dem Fürstenhof gewarnt, aber er hatte sich über ihre Verbote hinweggesetzt. Hier zu liegen war die gerechte Strafe für seinen Leichtsinn.
Überhaupt hatten die Leute recht mit dem, was sie über ihn sagten: Sein Leben war von Geburt an verflucht. Diese bittere Wahrheit musste er endlich akzeptieren oder er würde nur noch mehr leiden. Er war wertlos, körperlich versehrt und enttäuschte ständig Menschen, die ihm vertrauten – so würde es bleiben, bis die Göttin ihn von seinem irdischen Dasein erlöste. Kraftlos fiel seine leere Hand zu Boden. Wenn er hier draußen die frostige Nacht verbrachte, würde sein Leiden bald beendet sein.
Er wollte die Augen schließen, um auf seinen Tod zu warten, als ein merkwürdiges Glitzern in seiner steifen Hand ihn innehalten ließ. Die letzten Sonnenstrahlen trafen auf einen metallischen Gegenstand, der halb in seiner Schiene verborgen war. Neugierig zog er das schimmernde Ding unter dem Leder hervor und stutzte: Es war Karas Amulett! Er hatte es ihr in der Hütte gar nicht mehr zurückgeben und musste den Anhänger samt Band bei Menwins Ankunft unbewusst in der Schiene versteckt haben.
Vorsichtig nahm er die bronzene Scheibe in die rechte Hand und strich zärtlich mit dem Daumen über die eingravierten Flammenlinien. Kara würde das Amulett sicher vermissen – ob sie auch ihn vermissen würde? Er schüttelte den Kopf. Es war unsinnig, sich darüber Gedanken zu machen. Kara dachte vermutlich ebenfalls, dass er tot war und ihre Trauer darüber würde sich in Grenzen halten. Schließlich hatte er ihr nur Unheil gebracht ...
Wehmütig betrachtete er den Anhänger. Mochte Kara ihn vergessen, sie würde immer in seinem Herzen sein – eine goldene Erinnerung in einem Leben voll Dunkelheit. »Ich werde dein Amulett hüten wie einen Schatz«, flüsterte er. »Das verspreche ich dir.«
Er wollte den Anhänger vor sich auf die Erde legen, um das Lederband zu entwirren, doch das Amulett rutschte ihm aus den klammen Fingern. Beim Fallen drehte sich die Metallscheibe und kam mit der Rückseite nach oben im Gras zum Liegen. Verwundert blickte Raven auf das Amulett herab. Die andere Seite war ja auch graviert! Er ging mit dem Kopf näher heran, um die filigrane Gravur besser betrachten zu können. Als er die Darstellung erkannte, stockte ihm der Atem. Die Rückseite zeigte einen fliegenden Raben, der in seinen Krallen ein Schwert hielt. Ravens Herz hämmerte in seiner
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