Rabenfeuer - Die Flammen der Goettin
Brust. Im Zusammenhang mit der Vorderseite des Amuletts gab es an der Deutung des Bildes keinen Zweifel: Der Rabe mit dem Schwert war zum Schutz der Seherin auserkoren.
Raven keuchte. War es Zufall, dass er diese Gravur ausgerechnet jetzt entdeckte? Oder war es ein Zeichen, das die Göttin ihm schickte? Aber wenn ja, warum? Er besaß kein Schwert mehr, Gorik hatte ihn verlassen und ein Krieger war er erst recht nicht. Unmöglich, dass er Kara helfen konnte. Er war schwach, er stand alleine, und sein baldiger Tod war die einzige Hoffnung, die er noch hatte ...
Ruckartig hob Raven den Kopf. Wenn er sich sowieso nach dem Tod sehnte – was hinderte ihn daran, wenigstens zu versuchen , Kara aus Menwins Gewalt zu befreien? Sie hatte seine Hilfe mehr als verdient. Wenn er bei der Rettungsaktion ums Leben kam, dann starb er für eine gute Sache und hätte damit einen Teil seiner Schuld gesühnt.
Behutsam nahm er das Amulett auf und erhob sich auf die Knie. Er hatte kein Schwert mehr, aber Amartus besaß eines, mit dem er immer geübt hatte. Raven hoffte inständig, dass sie dem Hüter des Waldes nichts angetan hatten. Außerdem würde Amartus ihm bestimmt seine Stute leihen, für den Fall, dass Menwin sein Pferd mitgenommen hatte. Die alte Mähre war zwar eigenwillig, aber immer noch schneller als er mit seinem lahmen Bein.
Raven richtete sich auf und drückte das Wasser aus seinen Haaren. Mit Sicherheit würde Amartus ihm auch trockene Kleider und ein warmes Essen geben. Im Morgengrauen würde er losreiten und Kara zurückholen – eine Tat, mit der Menwin sicher niemals rechnete.
Sein neu erwachter Kampfgeist belebte seinen Körper, das Blut jagte durch seine Adern und vertrieb die Kälte daraus. Rasch hängte er das Amulett um seinen Hals und umschloss die Bronzescheibe fest mit seiner Hand. Vielleicht hatte er keinen Raben mehr, doch das machte nichts: Er war der Rabe – wenigstens dem Namen nach. Er würde sein Leben geben, um die Seherin schützen, so wie es seit Jahrhunderten auf dem Amulett festgeschrieben war. Heron würde es nicht gelingen, die Prophezeiung zu entschlüsseln und das Land in einen Krieg zu stürzen.
Entschlossen hob Raven den Blick und sah in das flammende Rot des Abendhimmels. Kara hatte ihn für einen Krieger gehalten, und – bei der Göttin! – er würde ihr, Heron und sich selbst beweisen, dass er einer war!
Am Morgen des nächsten Tages zügelte Raven sein Pferd und betrachtete die kleine Lichtung. Menwin und seine Männer hatten hier die Nacht verbracht und sich nicht die Mühe gemacht, ihre Spuren zu beseitigen: abgeknickte Zweige, zertrampeltes Gras und eine große Feuerstelle. Wer würde es auch wagen, die Krieger Sarwens zu überfallen? Außer ihm war wohl niemand so lebensmüde, dies zu versuchen. Nachdenklich betrachtete er das erloschene Feuer. An einigen Stellen entdeckte er noch Glut, also konnten die Krieger nicht viel Vorsprung haben.
Raven schnalzte mit der Zunge, sein Pferd setzte sich in Bewegung und seine Gedanken kehrten zum gestrigen Abend zurück. Glücklicherweise war Amartus unverletzt geblieben. Als er in der Dunkelheit in der Hütte des Hüters angekommen war, hatte der alte Mann Tränen in den Augen gehabt. Zu Ravens großer Verwunderung hatte er ihn darin bestärkt, Kara zu befreien. Nach einer heißen Suppe, einem geheimnisvollen Stärkungstrank und paar Stunden Schlaf neben dem warmen Feuer war er in seiner getrockneten Kleidung, bewaffnet mit einem Schwert und in einen braunen Kapuzenumhang gehüllt, in der Morgendämmerung losgeritten. Menwin hatte das Pferd nicht mitgenommen, so dass er nicht auf Amartus‘ launische Stute hatte zurückgreifen müssen, worüber er ebenfalls sehr froh war.
Selbst im Frühnebel war es nicht schwer gewesen, dem Hauptmann und seiner Schar zu folgen. Und jetzt, an der Weggabelung, war es wieder einfach, die richtige Richtung zu erkennen. Die Krieger waren nach Osten abgebogen, um aus dem Wald heraus auf die große Straße zu gelangen, die ihn am schnellsten nach Torain zurückführen würde. Raven schlug die Kapuze über seinen Kopf und zog sie tief ins Gesicht. Die breite Straße bot ihm weniger Versteckmöglichkeiten als der Waldpfad, doch er hatte keine Wahl: Er musste die Männer des Fürsten einholen und Kara retten, bevor sie den Tempel erreichten.
Er gab seinem Pferd die Zügel frei und trabte an. Bis zum späten Nachmittag würde er Ferling erreicht haben. Vielleicht ergab sich in den belebten Straßen des großen
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