Rabenfeuer - Die Flammen der Goettin
diesem Augenblick ein weiterer Krieger zu ihnen trat, schwieg sie. Der Mann reichte ihnen zwei Schalen mit Essen, nickte und gesellte sich wieder zu seinen Kameraden.
Kara starrte auf den dampfenden Eintopf in ihrer Schüssel. Bei Ravens letzten Worten war eine furchtbare Wut in ihr aufgestiegen: Wut auf Wegon, der Ravens Zukunft zerstört hatte, und auf dessen Sohn, der nun alles daran setzte, Raven das Letzte zu nehmen, was ihm geblieben war: sein Leben und die Hoffnung auf ein bisschen Glück. »Heron ist ein schlechter Mensch«, stieß sie bitter hervor. »Eines Tages wird die Göttin ihn dafür zur Rechenschaft ziehen.«
»Ich weiß nicht«, erwiderte er, »schließlich hat sie ihm große Siege vorausgesagt.«
Wenn sich die Prophezeiung überhaupt auf Heron bezog!, dachte Kara plötzlich. Nach dem Gesetz wäre Raven als der Erstgeborene Wegons Erbe. Unauffällig sah sie zum Eingang der Höhle. Schade, dass Gorik davongeflogen war, als sie hineingegangen waren. Sie hätte den Götterboten gerne dazu befragt!
»Lass uns abwarten«, sagte sie schließlich. »Meiner Mutter gelingt es bestimmt, Heron aus dem Tempel zu vertreiben. Danach wird er es nicht mehr wagen, in Torain einzufallen, und wir können unbesorgt im Tempel leben.«
»So wird es sein«, antwortete Raven, doch Kara spürte, seine Zuversichtlichkeit war nur gespielt. Genau wie sie selbst wusste er, dass weder die Mauern des Tempels noch sie oder Gorik ihn auf Dauer vor Herons Rache schützen konnten.
»Das ist Tharwyn, Heimat meiner Familie seit unzähligen Generationen.« Kara konnte nicht verhindern, dass Stolz in ihrer Stimme mitschwang, als sie in Begleitung der Wachen am Nachmittag des nächsten Tages aus dem Wald herausritten und die drei gewaltigen Rundtürme der Festung, die sich inmitten einer großen Stadt erhob, vor ihnen aufragten.
»Eine beeindruckte Anlage«, gab Raven zu, und sie freute sich über sein Lob.
»Tharwyn liegt an der Handelsstraße, die von der Ostküste zu den westlichen Reichen führt«, erklärte sie. »Viele Händler haben sich im Schutz der Festung angesiedelt. Es entstand eine blühende Stadt. Meine Vorfahren haben die Burg immer weiter ausgebaut, die Stadtmauer errichtet und nun ist Tharwyn der strahlende Mittelpunkt Torains.«
Belustigt sah Raven sie an. »Jetzt höre ich Yldas Tochter sprechen. Heimweh, Prinzessin?«, neckte er sie.
Karas Wangen röteten sich, weil er sie in ihrer Begeisterung ertappt hatte. »Ich liebe Tharwyn, es steckt voll von Erinnerungen an meine Kindheit. Seit ich in den Tempel gegangen bin, war ich nicht mehr hier. Außerdem hoffe ich, wenigstens einen meiner Brüder zu sehen, doch vermutlich sind sie gar nicht da. Was meine Mutter angeht ...« Sie warf ihm einen flehenden Blick zu. »Egal, was sie zu dir sagt, nimm es nicht ernst. Du weißt, was ich für dich empfinde, und daran wird sie nichts ändern können, so sehr sie auch toben mag. Allerdings hoffe ich«, setzte sie leise hinzu, »dass sie durch Heron erst mal etwas abgelenkt sein wird.«
»Mach dir keine Sorgen, Kara«, beruhigte er sie. »Hohn, Spott und Beleidigungen bin ich gewohnt.«
»Wir verlassen Tharwyn, sobald wir können, das verspreche ich dir. Ich will das Zusammensein mit Mutter so kurz wie möglich halten. Am besten wird sein, ich rede zuerst alleine mit ihr.«
»Du vernachlässigst dein Äußeres, Tochter.«
Durch den Thronsaal schritt ihre Mutter auf Kara zu – in gebieterischer Haltung, makellos gekleidet und unnahbar wie immer. Mit einer Armlänge Abstand blieb sie vor ihr stehen und musterte sie abfällig, während ihren Mund das spröde Lächeln umspielte, das Kara nur zu gut kannte.
»Es gibt Wichtigeres als mein Aussehen, Mutter«, entgegnete sie scharf, bevor sie auf Ylda zutrat und einen Kuss auf die Wange hauchte, die diese ihr darbot. Ihre Mutter war einen Kopf größer als sie, eine hagere Frau mit einem eisernen Willen, dem sich nur die Wenigsten zu widersetzen wagten.
»In der Tat gibt es Wichtigeres«, antwortete sie kühl. »Der junge Fürst Sarwens hat den Tempel besetzt. Mein Hauptmann sagte, als er dich fand, wärst du vor Herons Männern auf der Flucht gewesen?«
»Das ist richtig. Ich bin durch einen Geheimgang des Tempels entkommen.«
Spöttisch hob Ylda eine Augenbraue. »Wie es scheint, fließt doch etwas von meinem Blut in deinen Adern – und nicht nur das deines Vaters, dem Versager.«
Kara sog hörbar die Luft ein. Sie hatte ihren Vater geliebt und ihre Mutter wusste dies
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