Rabenflüstern (German Edition)
mich um deine Freunde und das Mädchen kümmern.«
Heikhe fuhr auf: »Ich bin kein Mädchen, ich bin auch eine Kriegerin!« Sie befürchtete wohl, von dem letzten ihrer Bekannten getrennt zu werden. Zur Bekräftigung des Gesagten hatte sie ihren Dolch gezogen. Der König lachte, schenkte ihr aber keine weitere Beachtung.
Hinter ihnen war eine Rauferei entstanden und ein Stuhlbein flog in hohem Bogen Richtung Thron. Blitzschnell machte Kraeh eine halbe Drehung, Leid zuckte aus seiner Scheide und teilte das Holz in der Luft. Nun deutete er doch noch eine Verbeugung an, nahm Heikhe bei der Schulter und schob sie ins Gedränge. »Keine Sorge«, sagte er zu ihr, während sie sich an den mittleren der drei langen Tafeln setzten, »ich werde nicht lange fort sein.«
Der Krieger hatte ihren Platz mit Bedacht gewählt. Die Männer neben ihnen gehörten zu der Gruppe dessen, der vorhin den Ork niedergeschlagen hatte. Das gepflegte und eindrucksvolle Äußere der Ritter , wie sie sich selbst nannten, machte sie in Kraehs Augen zu den Vernünftigsten im Raume. Sie zechten zwar auch, aber nicht ganz so maßlos wie das übrige Volk, denen jegliches Ansichhalten zusehends noch mehr abhandenkam. Ihren Gesprächen war zu entnehmen, dass sie bretonische Gesandte waren. Ihr Heimatland war derart fern und klein, dass Kraeh es nur aus Legenden kannte. Der Schnauzbärtige, er stellte sich als Mikael Eisenfaust vor, zähle zum Vorstand ihres Ordens und sei von seinem Fürsten Ludewig geschickt worden, Siebenstreich um Unterstützung gegen einen Magier zu bitten, der seit geraumer Zeit sein Unwesen in den bretonischen Wäldern treibe. Man traue es dem Troll nicht zu, aber er habe die größten Zauberkundigen um sich geschart und sein Berater Heilwig sei selbst ein begnadeter Hexenmeister. »Stahl allein ist machtlos gegen die Kreaturen, die jener verdammte Magier beschwört!«, fluchte ein sommersprossiger Ritter, dessen eigentliche Statur unter Kettenhemd und den Wölbungen seiner Plattenrüstung nicht zu erraten war. Seit neun Tagen warteten sie schon auf eine Antwort des Königs, der sie immer wieder vertröstete. »Er hat selbst alle Hände voll zu tun«, entschuldigte ihr Anführer den Herrn des Hauses, unter dessen Gastrecht sie standen. Kraeh hakte nach. Denn nach allem, was er auf dem Weg hierher gesehen hatte, schien ihm das Land reich und friedlich. Bedachte man die Ausgelassenheit in der Halle, war kaum zu glauben, dass es sich im Kriegszustand befinden sollte.
Er wurde eines Besseren belehrt. Zu den Stämmen, die beständig in ihre Schranken gewiesen werden mussten, kamen die Nordmänner hinzu. Diese warteten, bis die Ernte eingefahren wurde, um dann in Schiffen, die nichts außer Männern und Waffen trugen, die Küsten zu überfallen und, so weit es ihnen gelang, ins Landesinnere vorzustoßen. Am Ende eines jeden Sommers gingen sie wieder, zwar mit weniger Drachenbooten, diese dafür aber bis oben angefüllt mit Geraubtem, was den Bewohnern der Mark Jahr um Jahr einen harten, hungernden Winter einbrachte.
»Ihr eigenes Land ist kahl, schlecht geeignet zur landwirtschaftlichen Bearbeitung«, wurden sie von dem Sommersprossigen belehrt, »am liebsten würden sie ihre Familien mitbringen und sich dauerhaft in der Mark niederlassen.«
Bald wurden die Themen ihrer Gespräche weniger politisch, sie tranken und erzählten sich Anekdoten aus ihren unterschiedlichen Herkunftsländern. In den frühen Morgenstunden löste sich das Gelage allmählich auf. Heilwig hatte den Neuankömmlingen ihre Zimmer zugewiesen, wobei er dem jungen Krieger versichert hatte, er müsse sich keine Sorgen machen, sein Mündel allein zu lassen. Er versprach, es werde gut für sie gesorgt werden. Ermattet hatten Kraeh und Heikhe sich eine gute Nacht gewünscht und auf ihre bequemen Betten fallen lassen.
Der Kobold saß seinem König schweigend an einer leeren Tafel gegenüber. Siebenstreich holte hörbar tief Luft. »Ich hoffe, er ist nicht nur ein Großmaul, sondern auch ein guter Kämpfer«, meinte er, ausgezehrt von der langen Nacht.
»Wir werden sehen«, sagte Heilwig nach einer Weile, »wir werden sehen.«
***
Vier Tage nach der Unterredung mit König Siebenstreich ritt die Kriegskrähe an der Spitze einer hundertköpfigen Streitmacht. Er hatte die Männer selbst aus dem großen, stehenden Heer unter der Beratung Heilwigs ausgewählt. Direkt hinter ihm stapften vier Minotauren, die er allein aus Neugier und wegen
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