Rabenherz & Elsternseele
zu sehen waren. Atemlos kauerten wir uns in unser Versteck und lauschten zur Straße hin, hörten jedoch zumindest kein Auto. Von Meutinger schien keine Lust oder keine Zeit zu haben, Jori nachzujagen.
»Er hat meine Mutter da drin. Ich bin ganz sicher«, flüsterte sie. Ihr Gesicht sah ängstlich und verzweifelt aus, obwohl das eigentlich keine schlechte Nachricht war, denn immerhin wüssten wir ja dann, wo ihre Mutter war.
Ich streichelte ihr kurz über den Arm. »Das wäre doch gut. Dann bekommst du sie auf jeden Fall zurück. Hast du diesen komischen Schrei ausgestoßen?«
Sie nickte. »Und Mama hat geantwortet. Sie ist immer noch ein Habicht. Wenn dieser Kerl sie wirklich gefangen hält und auch die Geschichte mit Bubo stimmt, dann muss er ein Mittel haben, das sie davon abhält, sich zurückzuverwandeln. Sonst wäre sie längst wieder zum Menschen geworden. Wir müssen unbedingt in den Turm.«
»Ich habe nicht alles hören können, was ihr geredet habt. Was hat von Meutinger getan, nachdem du geschrien hast? Weiß er jetzt, was du bist?«
Jori sah mich mit einer Spur ihrer üblichen Überheblichkeit an. »Ganz sicher. Das wusste er schon vorher. Er hat sich nämlich ganz plötzlich überlegt, dass er mir die Vögel doch zeigen will. Ich habe geschrien, als er gerade die Turmtür geöffnet hat. Und dann bin ich weggerannt. ›Verflixtes Viech‹, hat er mich genannt.«
Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. »Gut, dass du so schnell reagiert hast.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Was soll er denn machen? Er kann mich doch nicht kidnappen, solange ich meine menschliche Gestalt habe. Oder?«
Ich war mir da nicht so sicher. Schließlich kam es immer wieder vor, dass Kinder entführt und eingesperrt wurden. Und von Meutinger würde sich nach Joris Schrei bestimmt einen Reim darauf machen, wer sie war, und glauben, dass niemand sie so bald vermissen würde. Oder er hatte sogar ein Zaubermittel, um sie jederzeit in ihre Vogelgestalt zu verwandeln. Jedenfalls wurde mir die Sache immer unheimlicher, und ich überlegte, ob wir uns nicht doch lieber eine überzeugende Geschichte ausdenken und ein paar Erwachsene einschalten sollten.
Das Handy in Joris Jacke vibrierte. Klug von Strix, dass er den Klingelton ausgestellt hatte. Jori nahm den Anruf an. »Ja?« Ich beugte mich zu ihr und hörte mit.
»Von Meutinger steigt ins Auto. Wenn ihr noch auf der Straße seid, müsst ihr abtauchen. Kannst du mir mal Pia geben?«, sagte Strix.
Mit klopfendem Herzen und ein bisschen geschmeichelt, weil Strix mit mir sprechen wollte, nahm ich Jori das Handy ab. »Wir hocken hinter der Burg. Ich konnte mit Jori nicht offroad fahren.«
»Gut so. Bleibt da. Wenn er zurückkommt, rufe ich an, und dann könnt ihr los.«
»Okay. Treffen wir uns später?«
»Sobald ich hier wegkann. Zeigst du mir dann mal das Haus von deiner Oma?«
Ich stimmte zu, und wir verabredeten, uns am späten Nachmittag dort zu treffen.
Als ich auflegte, hatte Jori ihren Mund zu einem schmalen Strich gepresst. »Habe ich da vielleicht auch noch was mitzureden?«
»Hast du eine bessere Idee?«, fragte ich.
»Ich will in diesen Turm«, sagte sie, und sie sah dabei so entschlossen aus, dass man Angst kriegen konnte.
»Aber du willst nicht darin eingesperrt werden, oder? Also müssen wir vorsichtig sein.«
Von da an sprach sie nicht mehr mit mir, während wir auf den Anruf von Strix warteten. Sie starrte nur mit finsterer Miene in die Baumwipfel und in den Himmel.
Auf dem Heimweg lief alles glatt. Um kurz nach zwei waren Jori und ich wieder bei uns zu Hause. Als Mama von der Arbeit kam, merkte ich, dass sie langsam misstrauisch wurde, weil Jori immer noch da war, aber wir konnten sie mit einer Ausrede beruhigen. Später am Nachmittag, als wir uns auf den Weg zu Omas Haus machten, war Mama schon wieder unterwegs zu irgendeinem wichtigen Termin.
In Omas Garten hätte allmählich das Gras gemäht werden müssen. Sie hatte zwar nie einen gepflegten Rasen gehabt, aber nun reichten mir die Löwenzahnstängel schon bis zum Schienbein, und Vögel waren nicht mehr zu sehen, wenn sie auf dem Boden landeten, nicht einmal die Elstern, die sich wie üblich hier herumtrieben. Seit Strix das mit den Habichten und Elstern gesagt hatte, betrachtete ich die schwarz-weißen Miniraben aufmerksamer. Ich mochte sie, sie sahen schlau aus, und so, als hätten sie Humor, falls es sowas bei Tieren überhaupt gab.
Zwei von ihnen flogen auf, als Jori und ich die
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