Rabenherz & Elsternseele
ersten Mal überlegte ich, was Habichte außer Fliegen noch so taten. Jagte Jori als Habicht Kaninchen, Tauben und Ratten, um sie zu fressen? Auf einmal konnte ich verstehen, dass sie ihre besondere Gabe nicht nur toll fand.
»Trotzdem ist es das Beste, was mir einfällt. Bevor wir nicht wissen, was von Meutinger in seinem Turm hat, können wir nichts weiter unternehmen.«
»Wie wär’s, wenn du ihn einfach bittest, dir seine Vogelsammlung zu zeigen? Oder dieser Strix? Aber wahrscheinlich vermasselt ihr das nur. Am besten, ich gehe selbst hin, wenn mein Fuß endlich …« Sie rieb sich durch Omas Wollsocke und all die Wickel hindurch das Fußgelenk.
»Und was, wenn der Mann tatsächlich so ein magisches Gespür für Vogelmenschen hat? Hast du daran mal gedacht? Dann sperrt er dich auch noch ein. Auf keinen Fall wird er dich in seinen Turm lassen, falls er etwas zu verbergen hat.«
»Das wollen wir erst mal sehen. Außerdem fällt dir schließlich sonst gar nichts ein.«
Ich seufzte. »Meinetwegen können wir es probieren. Aber von Meutinger muss mitbekommen, dass du nicht allein bist, damit er nicht glaubt, dass er dich einfach dabehalten kann.«
Die Amsel hatte den Wurm besiegt und wollte sich gerade mit ihrer Beute davonmachen, als eine Elster herabsauste und direkt neben ihr landete. Vor Schreck ließ die Amsel den Wurm fallen und floh zeternd. So wie die Elster ihr nachblickte, sah sie aus, als würde sie lachen. Mit einem eleganten Schnabelhieb sammelte sie den Wurm auf, bevor sie sich wieder in die Luft schwang, um sich über uns in der Kastanie niederzulassen. Nur einen Ast von ihr entfernt hockte eine zweite Elster, die ruhig beobachtete, wie die erste sich den Wurm schmecken ließ. Jori schüttelte sich angewidert. »Elstern sind wirklich ekelhafte Biester.«
Der große Befreiungsplan
A
m Montagmorgen weckte Strix Jori und mich mit seinem Anruf. »Morgen, Pica. Wie sieht’s aus, wollen wir uns treffen? Die Burg hat montags Ruhetag.«
»Pia heiße ich«, verbesserte ich ihn verschlafen. »Stehst du immer so früh auf?«
»Normalerweise müsste ich jetzt schon auf dem Weg zur Arbeit sein. Um halb zehn öffnet der Laden. Und bergauf geht’s nun mal leider etwas langsamer als runter.«
Ich lachte. »Etwas, ja. Also gut. Willst du herkommen?«
Jori war noch unter der Dusche, und ich machte gerade Frühstück, als er schon klingelte. Er war weniger ordentlich angezogen als am Vortag, trug ein verwaschenes schwarzes T-Shirt, auf dem in Grün When the going gets tough, the tough ride their bikes 1 stand, und eine überweite Jeans mit Löchern in beiden Knien, die Mama und Papa grauenhaft gefunden hätten. Aber die Hose hatte zwei Riesentaschen, und aus einer davon zog Strix einen Fotoapparat. »Hier. Letzten Mittwochabend habe ich einen Film aufgenommen. Von Meutinger dachte, ich wäre schon weg. Kann ich übrigens mitessen? Mein Frühstück ist schon so lange her.«
»Klar.« Ich konnte gar nicht anders, als ihn anzulächeln. Es war schön, ihn wiederzusehen, auch wenn ich mich nicht gerade auf den Augenblick freute, in dem er Jori begegnen würde.
Sie kam herunter, als ich das Rührei auf den Tisch stellte. So hoheitsvoll wie möglich hinkte sie heran und setzte sich Strix gegenüber.
»Guten Morgen«, sagte sie mit einer Stimme, die vor Liebreiz triefte. »Du bist Jonas, ja?«
Es sprach für Strix, dass er seinen Toast mit Rührei für den Moment spannender fand als Joris Anblick. »Kannst Strix sagen«, murmelte er.
Niemand hätte ihm nachmachen können, wie er mit vollem Mund »Strix« sagte, ohne das Essen über den Tisch zu sprühen.
Ich für meinen Teil konnte nicht essen, bevor ich nicht den Film gesehen hatte. Jori blickte mir dabei über die Schulter. Das Bild auf dem kleinen Display war düster und nicht scharf, aber wir sahen, wie Rudolph von Meutinger vor seinem Turm den Geländewagen entlud. Durch die offene Turmtür trug er mehrere Säcke hinein. Die Aufschriften konnte man nicht erkennen. Danach brachte er Käfige ins Haus, in denen kleine weiße und gelbe Tiere herumwimmelten. »Was ist das denn?«, fragte ich entgeistert.
»Mäuse und Hühnerküken«, sagten Strix und Jori wie aus einem Mund. »Vogelfutter.«
Lecker, dachte ich und verzog das Gesicht, verkniff mir aber eine Bemerkung.
Als Nächstes lud von Meutinger zwei Kühlboxen aus. Ich wollte gar nicht wissen, was drin war.
»Und jetzt kommt’s«, sagte Strix.
Von Meutinger kehrte aus dem Turm zurück und verhielt
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