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Rabenherz & Elsternseele

Rabenherz & Elsternseele

Titel: Rabenherz & Elsternseele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Sophie Marcus
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kurz war. Danach lehnte ich mich mit dem Rücken gegen den Fuß der Mauer und machte mich auf eine längere Wartezeit gefasst. Wenn es tatsächlich geschah, wo würde die Verwandlung beginnen?
    Ich hatte den Gedanken noch nicht ganz zu Ende gedacht, da überkam mich auf einmal ein überwältigendes Glücksgefühl. Meine Brust und mein Kopf waren ausgefüllt von einem unerklärlichen Jubel. Ich war so froh, dass ich hätte platzen können. Und dann wurde es dunkel um mich herum und stickig, als steckte ich plötzlich in einem Sack. Er legte sich dicht über meine Augen, meine Nase und meinen Mund. Sofort geriet ich in Panik, schlug um mich und kreischte vor Schreck. Mein Angstgequieke klang halb erstickt und jagte mir selbst noch mehr Angst ein. Hatte von Meutinger mich erwischt? Wie wild boxte ich um mich, hüpfte auf der Stelle und hackte mit meiner Nase nach dem Sack. Der Sack wickelte sich um mich, bewegte sich mit mir auf und ab, hierhin und dorthin, bis ich endlich Licht sah und hinausschlüpfen konnte. Mit einem erleichterten Triumphschrei schwang ich mich in die Luft und ließ mein lästiges T-Shirt am Boden zurück. Ich flog mit Leichtigkeit auf die nahen Buchen zu, bis ich bemerkte, dass ich flog.
    Ich flog. Verdammt. Statt elegant auf dem Zweig zu landen, den ich so selbstverständlich angesteuert hatte, krachte ich gegen den Stamm, fiel bis zu einem weiter unten hängenden Ast herab und landete dort auf meinem Vogelhintern, statt auf den dafür vorgesehenen Klauen.    
    Merkwürdigerweise dämpfte das meine gute Laune kein bisschen. Ich fand meinen Unfall urkomisch und lachte laut. Es klang wie »Schäckäckäckäck«, was ich noch lustiger fand. Ich wollte mich schlapplachen. Dann sah ich zwei Bäume weiter ein Taubenpaar, das mich vorwurfsvoll anglotzte. Eingebildete Fettwänste. Ohne zu überlegen, hob ich wieder ab und rauschte im Überschallflug auf sie zu, um haarscharf vor ihnen nach oben abzuschwenken, auf dem Ast über ihnen zu landen und ohrenbetäubend zu kreischen. Prompt zuckten die Viecher zusammen und flohen. Ich lachte wieder. »Schäckäckäckäck«. Mann, machte das Spaß! Aus reiner Freude daran flog ich den beiden trägen Tanten ein Stück hinterher und probierte einige Manöver aus, bis ich etwas Glitzerndes im Gebüsch entdeckte. Hübsch war das, ich musste es mir genauer ansehen. Gleichzeitig mit mir landete eine andere Elster in den Zweigen und schnappte sich das wunderschöne Knäuel Schokoladenfolie. Gerade wollte ich sauer werden und Streit mit dem unverschämten Vogel anfangen, da ließ er die Folie fallen und sah mich an, als würde er grinsen. »Hallo. Komm rein«, sagte er. »Hallo. Komm rein.«
    Da fiel mir ein, dass ich in diesem großen Steinhaus hinter mir etwas anderes zu erledigen hatte. Also pfiff ich dem Männchen nur kurz zu und flog schnurstracks zu den Burgzinnen empor. Offensichtlich würde ich mich zusammenreißen müssen, um diese Sache schnell hinter mich zu bringen. Danach konnte ich wieder Spaß haben. Für einen kleinen Vorgeschmack flog ich hinter der Mauer einen steilen Sinkflug mit Vollbremsung am Ende und landete zu Füßen des Turms. Ich trippelte ein Stück daran entlang, hielt mich im Schatten verborgen und äugte vorsichtig um die Kurve. Auf dem Hof spielte schon der Falkner mit seinen Hakenschnäbeln, der Zeitpunkt war perfekt. Mit einem anmutigen Schwingenschlag löste ich mich vom Boden, streifte versehentlich die Turmmauer mit dem linken Flügel und platschte wieder zurück auf die Erde. Mit einem Zucken tat ich es ab. Sowas durfte einem Anfänger ja wohl mal passieren. Und zum Glück hatte es niemand gesehen. Na ja, außer das Männchen mit dem Komm-rein-Tick. Das saß inzwischen auf den Burgzinnen und schien schon wieder zu grinsen. Ich beachtete es nicht.
    Gerade als ich mich auf halbe Höhe des Turms emporgeschwungen hatte, sah ich, dass unten in einem Winkel zwischen Mauertrümmern doch tatsächlich Blaubeersträucher wuchsen. Die Beeren leuchteten richtig, so reif waren sie. Wollte die etwa niemand ernten? Da würde ich mich nicht lange bitten lassen. Blaubeeren waren köstlich. Ich kippte meine Flügel und machte mich klar zum Sturzflug auf die Sträucher, da landete das dreiste Männchen mit der Sprachmacke dort. Verärgert keckerte ich und drehte ab. Nun gut, ich hatte ja ohnehin Wichtigeres zu tun. Schlecht gelaunt ließ ich mich auf der Brüstung des obersten, runden Turmfensters nieder und spähte durch ein rostiges Eisenkreuz in

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