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Rabenherz & Elsternseele

Rabenherz & Elsternseele

Titel: Rabenherz & Elsternseele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Sophie Marcus
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nach meinem Tod zum Vogel werden kann, wenn ich meine Fessel vorher ablege und die Verwandlung zulasse. Trotzdem habe ich es nicht gleich getan. Es war mir, als würde ich damit einwilligen zu sterben, und so weit bin ich noch lange nicht. Aber dann tauchte diese fremde Elster in meinem Garten auf. Ich konnte es nicht fassen, wie sehr sie mich an deinen Vater erinnerte. Dasselbe Gefieder, dieselben frechen Streiche. Und dann lernte sie auch noch von mir, diesen Satz zu sagen. ›Hallo. Komm rein.‹ Ich habe das immer gesagt, wenn sie auf meiner Fensterbank saß und ich sie ins Haus ließ. Als sie es zum ersten Mal nachplapperte, bildete ich mir auf einmal ein, dass der Vogel wirklich dein Vater sei und ich …«
    Mein Hirn hatte für eine Weile ausgesetzt gehabt, schaltete sich aber nun schlagartig wieder ein. »Leander war auch eine Elster? Das ist nicht dein Ernst.«
    »Aber natürlich ist das mein Ernst. Himmel, er hat das Fliegen geliebt! Und er war viel zu furchtlos, wenn er ein Vogel war. Ich weiß es zwar nicht sicher, aber ich glaube, dass ihn sein Übermut das Leben gekostet hat. Es hieß, er wäre ertrunken, aber man fand auch heraus, dass sein Arm verletzt war. Und er wäre doch nicht mit einem verletzten Arm schwimmen gegangen. Sicher hatte ihn jemand oder etwas am Flügel verletzt, und er ist ins Wasser gefallen, wo er sich dann zurückverwandelt hat.«
    Bei dieser Vorstellung schossen mir die Tränen in die Augen, und mir fiel wieder ein, wie gereizt Mama reagiert hatte, als ich die Vogelmenschen erwähnt hatte. »Das ist ja furchtbar. Weiß Mama davon?«
    Oma schniefte, als müsste auch sie das Weinen unterdrücken. »Leander hat ihr von uns erzählt, aber sie wollte es ihm nicht glauben. Sie hat es sich lieber so zurechtgelegt, dass er in Wahrheit Dinge tat, über die er nicht sprechen durfte, wenn er manchmal verschwand. Sie ließ sich gefallen, dass er dieses Geheimnis hatte, weil sie ihn wie verrückt geliebt hat. Das hat sie, weißt du? Und sie liebt auch dich. Deshalb sollte ich dir nichts von den Vogelmenschen erzählen. Sie weiß zwar bis heute nicht, was deinem Vater wirklich zugestoßen ist, aber sie hat geahnt, dass es mit seinen Geschichten zu tun hatte. Davor möchte sie dich beschützen.«
    »Ja, ja. Aber was ist denn nun mit der fremden Elster? Ist es Leander?«
    Sie sah mich kummervoll an. »Vielleicht ja, vielleicht nein. Ich glaubte, dass ich es herausfinden könnte, wenn ich selbst wieder ein Vogel wäre, aber ich weiß nicht mehr als vorher. Wir sind als Vögel leider nicht in der Lage, uns in menschlicher Sprache zu unterhalten, und er hat mir kein besonderes Zeichen gegeben, wie ich es mir erhofft hatte. Ich habe mich wochenlang mit ihm herumgetrieben, weil ich dachte, ich würde es noch herausfinden. Leider werde ich als Elster mit der Zeit immer tüdeliger. So habe ich nicht nur aus dem Blick verloren, wie die Tage vergingen, sondern auch falsch eingeschätzt, wie gefährlich Rudolf von Meutinger inzwischen geworden ist. Und trotz allem weiß ich die Wahrheit über meinen Elsternfreund noch immer nicht. Andererseits hat er sich verhalten wie dein Vater in den Zeiten, in denen er sein menschliches Bewusstsein am weitesten hinter sich gelassen hatte. Und außerdem hat er dich hergeholt, was für eine gewöhnliche Elster zwar möglich, aber auffallend klug ist. Ich wusste nicht, dass er das tun würde. Eigentlich wollte ich noch eine Weile warten, bevor ich dich anrufe.«
    »Damit du mir deine Federn wieder verheimlichen kannst?« Ich sagte es ein bisschen bitter, aber eigentlich verstand ich sie. Ihr Gesicht sah entsetzlich alt und erschöpft aus, und so wie sie ihre faltigen Lippen zusammenpresste, hatte sie bestimmt Schmerzen. An ihrer Stelle hätte ich in ihrer Verfassung diese wilde Geschichte auch nicht gern erzählt. Auf einmal war mir die ganze Vogelangelegenheit gleichgültig. Mich überrollte eine riesige Woge von Dankbarkeit dafür, dass ich meine Oma noch einmal wiederbekommen hatte. Ich nahm ihr den Teebecher aus der Hand, stellte ihn auf den Tisch und umarmte sie anschließend fest und lange. »Ist piepegal. Hauptsache, du bist wieder hier«, murmelte ich.
    Oma drückte mich an sich und seufzte tief. »Wenn es bloß so einfach wäre, mein Schätzchen. Aber ich fürchte, wir müssen noch mehr besprechen.«
    Als wir uns losließen, klopfte sie auf ihre Sessellehne, und ich setzte mich darauf. Sie nahm meine Hand in ihre und strich nachdenklich über meine Armbänder.

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