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Rabenherz & Elsternseele

Rabenherz & Elsternseele

Titel: Rabenherz & Elsternseele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Sophie Marcus
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»Dieses ausgeblichene, bunte habe ich dir zur Einschulung gemacht. Ein Wunder, dass es noch nicht zerfallen ist. Und das blaue hast du zum zehnten Geburtstag bekommen. Blau war damals deine Lieblingsfarbe«, sagte sie.
    »Und dieses hast du mir geschenkt, als ich den letzten Milchzahn verloren habe, und das mit dem Goldfaden zu Weihnachten. Die anderen sind zu Hause«, sagte ich und hatte längst bemerkt, dass auch Oma ihr Armband wieder trug. Das pastellgrüne, das sie mir gemacht hatte, als ich noch ein Baby war. Ich zeigte auf den Handarbeitskorb. »Soll das Muster auf dem, das du da angefangen hast, eine Elster sein?«
    Sie lächelte und drückte meine Hand. »Ja. Und das Band soll für immer halten. So stelle ich es mir jedenfalls vor. Und nun reich mir mal das Brötchen. Sobald ich etwas im Bauch habe, werde ich dir den Rest erzählen. Danach überlegen wir, was wir mit von Meutinger und seinen armen Gefangenen machen. Ich will ja nicht umsonst den ganzen Weg nach Falkenstein und zurück geflogen sein. Auf dem Rückweg dachte ich, meine Kraft reicht nicht mehr, um es hierher zu schaffen. Aber das habe ich davon, dass ich den Falkner aus den Augen gelassen habe. Dabei bin ich schon vor einem halben Jahr darauf gekommen, dass ihm nicht zu trauen ist.«
    Oma war auf Burg Falkenstein gewesen? Ich nahm an, dass mich jetzt nichts mehr verblüffen konnte. Was auch immer sie noch an Überraschungen auf Lager hatte, ich würde gelassen bleiben.
    So dachte ich, bis Oma ihr Brötchen schweigend halb aufgegessen hatte und ihre Hand nach dem Tee ausstreckte. Als ich ihr den Becher reichte, lächelte sie mich liebevoll an. »Pia, hast du denn jetzt keine große Frage? Ich hätte gedacht, du würdest sofort …« Sie blickte auf meine Hände, und mir wurde bewusst, dass ich die ganze Zeit an den Knoten meiner Armbänder spielte.
    »Was?«, fragte ich.
    »Du hast dein ganzes Leben lang immer diese Armbänder getragen. Ich war froh, dass du sie so gern mochtest. Aber weißt du, es ist an der Zeit, dass du sie einmal abnimmst.«
    Da hatte sie es wieder geschafft: Ich war baff. »Hä? Wieso das denn? Da käme ich mir ja ganz nackt vor.«
    Sie sah mich mit ernster Miene an. »Wenn man sein Leben lang gefesselt war, dann kommt man sich ohne seine Fesseln erst einmal nackt vor. Ich hoffe, du wirst es mir verzeihen, dass ich dich so lange gefesselt habe.«
    Ich überlegte kurz, ob sie wohl aus Erschöpfung den Verstand verloren hatte. Aber sie sah so ruhig und vernünftig aus, dass ich es mir nicht vorstellen konnte. »Ich kapier gar nichts«, sagte ich.
    »Ach Piachen, kleine Pica. Du willst nur nicht verstehen, glaube ich. Das hast du vielleicht von deiner Mutter. Aber sonst bist du nicht anders als ich oder als dein Vater war. Nimm deine Fessel ab und du wirst fliegen. Und ich fürchte, du wirst es jetzt gleich tun müssen. Denn in diesen Burgturm hinein wird es nur eine ausgeruhte junge Elster wie du schaffen.«

Ding Dang Dong
    O
ma sah mich mitfühlend an, während ich mit leerem Kopf dasaß, als hätte ich nicht gehört, was sie gesagt hatte. Vor meinem inneren Auge hüpfte eine Elster herum und zuckte spöttisch mit Kopf und Schwanz. Es war ja auch lustig, wie lange ich gebraucht hatte, um es zu begreifen. Ich räusperte mich und stellte wieder mal die erstbeste Frage, die mir in den Sinn kam. »Muss ich erst lernen zu fliegen, oder kann ich es sofort?«
    Sie zuckte verlegen mit den Schultern. »Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Mich hat meine Mutter, die Bescheid wusste, aber selbst kein Vogel war, damals auf unserem Dachboden eingesperrt, als ich mich zum ersten Mal verwandelt habe. Dort bin ich herumgeflattert und habe gelernt, mit meinen Flügeln zurechtzukommen. Dein Vater war noch gar nicht flügge, als es das erste Mal geschah. Er war erst fünf Jahre alt und sah noch aus wie halb gerupft. Beim dritten Mal ist er mir aber schon davongeflogen.«
    Ich hatte mich inzwischen wieder auf den Fußschemel zurücksinken lassen, kauerte mich dort zusammen und umarmte meine Knie. Fantastisch, nun hatte ich keinen Grund mehr, Jori zu beneiden. Doch statt begeistert zu sein, fühlte ich mich unwohl und hatte Angst. »Verwandle ich mich sofort, wenn ich die Armbänder abnehme?«
    »Wahrscheinlich. Es ist ja schon lange überfällig. Ich würde dir gern anbieten, hier auf dich aufzupassen, während du es ausprobierst. Aber dann wirst du es vielleicht nicht rechtzeitig bis zum Turm schaffen, um deinen Freunden zu helfen. Das

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