Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rabenherz & Elsternseele

Rabenherz & Elsternseele

Titel: Rabenherz & Elsternseele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Sophie Marcus
Vom Netzwerk:
vor Schreck rückwärts in die Nestkuhle fiel. Nun musste er mich nicht mehr darauf hinweisen, dass es falsch war, auch nur eine Kralle auf diesen Horst zu setzen. Es fühlte sich auf unerklärliche Weise so verboten an, dass ich mich sofort selbst wieder aus der Nestmulde herauskatapultierte. Genau so hätte es auch ausgesehen, wenn ich mit meinem kleinen Vogelhintern auf glühenden Kohlen gelandet wäre. Seite an Seite machten Leander und ich uns aus dem Staub und flogen heimwärts, ohne auch nur einen weiteren Blick wechseln zu müssen. Bis auf meine Fensterbank begleitete er mich, als wolle er sichergehen, dass ich unbeschadet wieder in meinem Zimmer ankam.
    Ich verwandelte mich, zog mir ein T-Shirt über und wandte mich ihm zu. »Was zum Geier hast du mir denn da gezeigt?«
    Doch er wippte nur zweimal kurz, was so viel hieß wie: »Na dann mach’s mal gut.« Und weg war er.
    Ich war völlig erledigt und ließ mich auf meinen Schreibtischstuhl sinken. In so kurzer Zeit war ich selten so weit geflogen. Ein Blick auf die Uhr ließ mich das mit der kurzen Zeit jedoch noch einmal überdenken. Es war überhaupt nicht mehr früh. Jetzt erst bemerkte ich, dass es draußen schon dunkel wurde. Ich hörte Mamas Schritte die Treppe heraufkommen. Sie öffnete meine angelehnte Zimmertür ohne anzuklopfen, was selten vorkam.
    Schlagartig hellte sich ihr besorgtes Gesicht bei meinem Anblick auf. »Pia! Dem Himmel sei Dank!«
    Sie umarmte mich, als wäre ich wer weiß wie lange weg gewesen, und ich hörte förmlich den Stein auf die Dielenbretter aufschlagen, der ihr vom Herzen fiel.
    »Was ist denn los? Ist was passiert?«
    Oha. Es war noch schlimmer als nur ein fallender Stein. Sie weinte. Nun bekam ich Angst. »Ist etwas mit Oma?« Sie schüttelte den Kopf, trat ein wenig von mir zurück und sah mir in die Augen. »Wo warst du so lange? Ich bin sogar schon zu Omas Haus gefahren, weil ich dachte, dass du vielleicht dort bist.«
    »Tut mir leid, Mama. Ich habe nicht bemerkt, wie die Zeit vergangen ist. Leander hat mir etwas gezeigt, und der Weg dorthin war ziemlich weit.«
    Oh nein. Leander zu erwähnen war wohl nicht das Geschickteste gewesen. Mama machte große Augen und griff nach meinem Arm. »Pia! Ich weiß nicht, ob diese Elster das ist, was du glaubst. Doch du musst daran denken, was deinem Vater zugestoßen ist. Sollte Leander tatsächlich … Er wird wohl kaum vorsichtiger geworden sein als früher. Ich will nicht, dass du ihm einfach so folgst.«
    »Er wirkt aber so, als würde er auf mich achtgeben. Bestimmt würde er mich nicht in Gefahr bringen.«
    Sie schüttelte unwillig den Kopf. »Also bei allem guten Willen. Ich verstehe ja, dass du dir das wünschst. Aber er ist ein Vogel. Was, wenn nichts anderes dahintersteckt? Du fantasierst dir zurecht, dass er auf dich aufpasst und dann … Was glaubst du denn, was so ein Tier tun könnte, um dich zu beschützen, wenn du in Gefahr gerätst?«
    Weiter mit ihr darüber zu diskutieren erschien mir sinnlos, zumal ich selbst meine Zweifel hatte. »Es ist ja nichts passiert. Mir geht es gut. Der Weg war etwas lang, sonst nichts.«
    Um sie abzulenken, schlug ich vor, dass wir Papa von der Arbeit abholen und zusammen mexikanisch Essen gehen sollten. Was mir allein vielleicht nicht gelungen wäre, bekam Papa wunderbar hin. Er hatte gute Laune, weil er seiner Firma gerade große Aufträge besorgt hatte, und erzählte so viel, dass Mama die Sache mit Leander zu vergessen schien. Es war ein netter Abend. Auf dem Heimweg verabredeten wir, am Samstag Oma zu besuchen, die im Krankenhaus auf ihre OP wartete, und anschließend zusammen ins Kino zu gehen.
    Dieser Plan steigerte meine Laune erheblich. Ich freute mich darauf, Oma zu sehen. Wir telefonierten zwar fast jeden Tag, aber Mama und Papa hatten mich davor gewarnt, Oma aufregende Dinge zu erzählen. Deswegen erwähnte ich nichts von dem, was mir eigentlich gerade wichtig vorkam. Natürlich würde ich ihr auch bei unserem Besuch nichts von den unheimlichen Geschehnissen erzählen, aber sie zu sehen war auf jeden Fall besser als am Telefon herumzustammeln.
    Meine gute Laune hielt genau bis zum nächsten Nachmittag an. Ich hatte gehofft, dass Strix vorbeikommen oder mich vielleicht sogar von der Schule abholen würde. Doch er tauchte weder auf noch meldete er sich.
    Erst kurz vor dem Abendbrot rief er an, und da raubte sein Anruf mir jeden Appetit. Ich musste ihn bitten, alles zu wiederholen, nachdem er die ersten fünf Sätze

Weitere Kostenlose Bücher