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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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wiederzutreffen.«
    Kopfschüttelnd sah sie ihm in die Augen, die so zärtlich und still waren wie ein Winterhimmel. »Du siehst mich an, als wärst du stolz auf mich. Aber du freust dich nur über deinen eigenen Sieg.«
    Er nahm ihre Hände in seine. Sie waren rau und trocken vom jahrelangen Umgang mit Ölfarben. »Ich freue mich über unseren gemeinsamen Erfolg, Mion. Und ich bin stolz auf dich. So stolz, wie ein Meister auf seinen Lehrling nur sein kann.«
    Sie wollte sich abwenden, aber er ließ sie nicht los.
    »Es stimmt, ich war dir gegenüber nicht immer ehrlich, und es war falsch von mir, dich im Palast nicht vorzuwarnen. Ich kann verstehen, dass dein Vertrauen ein wenig ins Wanken geraten ist.«
    Sie sah ihn schräg an.
    »Gut«, murmelte er, »du traust den Sphinxen wahrscheinlich mehr als mir. Ich akzeptiere das. Aber bitte... hebe dir deine Rache für später auf, wenn wir beide im Palast leben.« Er hatte sich dicht zu ihr hinabgebeugt und flüsterte: »Wenn die Welt uns gehört und niemand mehr über uns steht. Wenn wir Wynter die Gerechtigkeit gebracht haben. Wenn du mächtig genug bist, um mir wirklich etwas anzutun, verdammt! Überleg mal, statt jetzt so eine Miene zu ziehen, könntest du mir vergiftete Trüffeltörtchen schicken... Wenn man alle Möglichkeiten hat, macht Rache viel mehr Spaß.«
    Ob sie wollte oder nicht, sie musste grinsen. Sie biss sich auf die Unterlippe, um es zu unterdrücken. »Das mache ich wirklich - die vergifteten Trüffeltörtchen. Glaub mir lieber.«
    »Ich rühre nie wieder ein Trüffeltörtchen an!«
     
    Am Abend stand sie das erste Mal vor einer weißen Leinwand.
    »Das hier ist Terpentin, um Farbe zu verdünnen und zu entfernen.« Jagu hob ein schmuddeliges graues Glas vom Tisch. »Und das sind die Farbpigmente.« Er wies auf eine Sammlung verschiedener Pulver und wachsartiger Stücke in leuchtenden Farben. »Eigentlich solltest du zuerst lernen, wie man die Farben herstellt, aber... gut, überspringen wir das. Hier sind Farben, die ich vorgemischt habe.« Er wies auf die große Holzpalette, auf der mehrere Farbpasten waren. »Die Farben werden Schicht für Schicht aufgetragen. Menschliche Haut zum Beispiel besteht aus roten, grünen und gelben Pigmenten. Wenn man Rot aufträgt, dazu einen Hauch Grün oder Blau mit Weiß und Gelb darüber, erzeugt man die Illusion von einem lebendigen Leuchten.«
    Mion nickte konzentriert. »Rot, so wie Blut, dann Grün und Blau wie die Adern, darüber Gelb und Weiß.«
    Jagu nickte ebenfalls. Er nahm ein Stück Kohle vom Tisch, das er zuvor mit einem Messer leicht angespitzt hatte. »Bevor man ein Porträt beginnt, wird immer vorgezeichnet.« Er machte ein paar rasche feine Striche auf die Leinwand. Staunend sah Mion zu - innerhalb weniger Minuten hatte er eine Gestalt gezaubert, die eine Hand in die Seite stemmte, die andere wie zu einem Befehl ausstreckte. Große, majestätische Schwingen standen ihr aus den Schultern.
    »Versuch du es mal«, sagte Jagu, zog ein Pergament heran und reichte Mion die Kohle. Unschlüssig wog sie sie in der Hand und starrte von Jagus Leinwand zum leeren Pergament, nicht sicher, wo sie anfangen sollte. Jagu war so schnell gewesen, dass sie gar nicht gesehen hatte, wie er eigentlich gezeichnet hatte - irgendwie hatten seine Striche sich einfach zusammengefügt.
    Mion fasste sich ein Herz und fing an. Sonderbarerweise waren ihre Striche viel fester und stärker als Jagus. Der Kopf entartete zu einer unförmigen Zwiebel, den Hals vergaß sie ganz, dafür war der Oberkörper doppelt so lang wie die Beine, die Füße sahen aus wie Hufe. Jagu murmelte ihr hin und wieder etwas zu und leitete ihre Hand. Trotzdem war das Resultat grässlich. Als sie ihr Gemüsemännchen neben Jagus Zeichnung sah, kam ihr sein Können noch viel unbegreiflicher vor.
    »Für einen ersten Versuch ist das gar nicht schlecht«, munterte er sie auf. »Komm, versuch es noch einmal.« Er drehte das Papier um.
    Verbissen zeichnete Mion weiter. Immer wieder lobte Jagu sie und ließ sie von vorne beginnen.
    »Die Arme reichen bis zum Schritt«, erklärte er währenddessen. »Die Hüfte ist der Mittelpunkt des Körpers. Alles darunter und alles darüber ist ungefähr gleich lang. Jede Pose wird von der Hüfte bestimmt, schau... und die Schultern sind dreimal so breit wie der Kopf. Konzentriere dich auf die Orientierungspunkte, damit du die Proportionen hinbekommst. Und drück nicht so fest auf.«
    Draußen wurde es dunkel, ohne dass Mion

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