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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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geschieht, wenn die Mörderin des Prinzen mein Lehrling ist? Mein Leben wäre ebenso verwirkt wie deins.«
    Sie atmete tief ein und aus, um sich zu beherrschen. »Aber du wusstest, worauf du dich einlässt. Mich hast du nicht gefragt.«
    »Weil du nicht zum Fest gegangen wärst.«
    »Eben!«, schrie sie und fuhr wieder zu ihm herum. »Ich wäre ja verrückt, mich dem Drachen freiwillig zu präsentieren, den ich erschossen habe!«
    »Hast du denn nie daran gedacht, dass du ihm früher oder später sowieso begegnen würdest? Du kennst doch unseren Plan.« Die Grübchen zuckten auf seinen Wangen. »Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Du hast ihn schon gewonnen, bevor du es überhaupt wusstest. Irgendetwas an dir gefällt ihm, weißt du, wie mächtig dich das macht?«
    Es machte sie krank, ihn zu hören. Aber gleichzeitig konnte sie sich nicht gegen dieses Gefühl wehren - ein Gefühl, als bräuchte sie nichts so sehr wie seine Versicherungen. Alles war so widersprüchlich, dass sie gar nicht mehr wusste, ob sie Jagu hasste oder vielleicht sich selbst, weil sie ihm und seinen dunklen Machenschaften nicht ein für alle Mal den Rücken kehrte.
    Sie verschränkte die Arme und blickte auf ihn herab, wie er in seinem Sessel saß, mit nassen Haaren und kalter, glühender Freude in den Augen. In diesem Moment beschloss sie, ihm niemals zu verzeihen. Egal was auch geschehen mochte. Ihm war nicht zu trauen, nicht wirklich. Wann immer sie davor war, sich von seinen freundlichen Masken narren zu lassen, würde sie sich an diese Nacht erinnern.
    »Eines Tages wirst du dafür büßen. Das verspreche ich.« Damit wandte sie sich ab und stieg die Treppe hinauf. Jagu rief ihr lachend hinterher.
    »Eines Tages? Hoffentlich nachdem unser Prinz dir das Geheimnis des Gestaltenwandels verraten hat!«
    Als sie den Korridor erreichte, holte sie tief und zitternd Luft und ließ ihre Tränen endlich zu.

Wiedersehen
    D er Frühling brachte warme, sonnige Tage und sternenklare Nächte. Alles blühte und duftete und hauchte Leben, doch Baltibb nahm davon nichts wahr. Sie mistete Ställe aus, fütterte die Tiere, hackte Fleisch, schnitt Gemüse und Obst, schleppte Heu, putzte, wusch... es gab nur Arbeit, von morgens bis abends, im ewig gleichen Rhythmus.
    Mond begleitete sie bei ihren täglichen Pflichten wie ein Schatten, und er spürte wohl, was sie bedrückte. Abends stieß er leises, winselndes Gesäusel aus, wenn er neben Baltibbs Bett lag und wie sie nicht einschlafen konnte. Den Schmetterlingen und Libellen jagte er nicht mehr nach, fast als müsse er Baltibb auch in ihrer Trauer treu bleiben. So guckte er sich nur den Frühling an, mit einer Wehmut, die weder zu seiner Jugend noch zu einem Hund passen wollte.
    Baltibbs Vater war schweigsam wie immer und ließ sich nicht anmerken, was vorgefallen war. Nur schien es ihr, als sähe er sie weniger an als früher und weiche ihrem Blick schneller aus. Aber solange sie im Alltag miteinander auskamen, kümmerte es Baltibb wenig, was in ihm vorging. Sie lebten schon so lange in Schweigen miteinander, dass ein Abgrund mehr zwischen ihnen keinen großen Unterschied machte.
    Lyrian war, wie sie erwartet hatte, nicht mehr gekommen. In den ersten zwei Wochen hatte sie sich immer aufmerksam umgesehen und war noch jeden Morgen mit einem Kribbeln aufgewacht, für das sie sich schämte und das ihr lächerlich vorkam. Als er nicht auftauchte, zwang sie sich, den Blick auf den Boden gerichtet zu halten, und das Gefühl von siedender Erwartung wich Gleichgültigkeit. Nachts träumte sie von Whalentida und einer Welt jenseits dieser Welt, getrennt durch ein Meer der Unmöglichkeit. Sie besuchte Städte voller Wunder, die bunt und verwirrend und vollkommen unsinnig waren, weil es dort niemanden gab, der arbeitete. Manchmal begleitete der Geschmack solcher Träume sie durch den Tag und sie genoss und fürchtete ihn wie giftigen Zucker. Immer wieder malte sie sich aus, wo sie wären, wenn sie nicht das Heer getroffen hätten. Wenn Wynter sie doch nicht eingeholt hätte... jetzt verhöhnte es sie mit seinen süßen Maidüften. Sie fühlte, wie sich etwas in ihr zusammenballte - war es Hass? -, das danach schrie, ausgelebt zu werden, aber nicht wusste, wogegen es sich richten sollte.
    Dann, Baltibb hatte längst nicht mehr damit gerechnet, landete eine Schwalbe am efeuumrankten Fenster des Turms, wo die Tauben gefüttert wurden. Sie hielt inne, als sie den Vogel mit dem blauen Gefieder zwischen all den weißen

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