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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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können, dass seine Nase dreieckig ist.«
    »Frühstück?«
    »Jetzt nicht.«
    Mion aß mit der Köchin, Herone und Morizius, der eine lange Erkältung hinter sich hatte und Mion düster beäugte. Sie fragte sich, ob er vielleicht wusste... aber nein, er konnte nichts davon ahnen. Trotzdem hielt sie die linke Hand während des Essens zur Faust geballt, damit er nicht die zwei Einstiche in ihrem Ringfinger sah.
    Sie hatte kaum ihren Teller geleert, als ein bekanntes Klingeln durchs Haus hallte. Osiril! In letzter Zeit war die alte Meisterin erstaunlich unkompliziert gewesen und hatte höchstens sechs Mal am Tag nach Mion verlangt. Halb so oft wie zu schlimmeren Zeiten.
    Mion brachte ihr weich gekochte Eier, Brotsuppe, Tee und geschälte Apfelstücke, ohne mehr Zeit als nötig bei ihr zu verbringen. Osiril musterte sie haarscharf, sagte aber nichts, was Mion nur recht war.
    Als sie ins Atelier zurückkehrte, packte Jagu gerade das Porträt in braunes Papier.
    »Sei vorsichtig, dass die Farbe nicht verschmiert. Damit es nicht so aussieht, als würdest du nichts tun, kannst du den Boden mit schwarzer Farbe ausmalen, ich habe ihn dir freigelassen. Und vergiss nicht, ihm in die Augen zu blicken.« Mit einem Lächeln reichte Jagu ihr die Leinwand. »Schließlich ›malst‹ du heute sein Gesicht.« Er begleitete sie bis zur Haustür. »Wenn er dich heute auf eure Begegnung im Wald anspricht...«
    »Ich streite es ab.«
    »Du musst ja nicht zu direkt sein. Frag ihn lieber, was damals im Wald geschehen ist. Vergiss nicht, wir wollen sein Vertrauen gewinnen. Lass ihn erzählen, aber gib dich weiterhin geheimnisvoll.«
    Als sie die Eingangshalle erreichten, wandte Mion sich noch einmal an Jagu. »Ich versuche mein Bestes. Nur...«
    Er drückte ihre Hand. »Ich weiß.« Dann öffnete er die Tür und kniff die Augen zusammen, als Sonnenlicht hereinflutete. »Viel Glück, Faunia .«
    »Danke, Meister .«
     
    Wie gestern wurde Mion von zwei Sphinxen in den Turm geführt. Ein wenig außer Atem betrat sie die Halle und bereitete alles vor. Der Prinz kam in Gestalt der Schwalbe durch das Fenster geflogen und bedeutete den Sphinxen zu gehen. Er sah anders aus - da waren weder Federn noch Klauen noch Fellmuster. Seine wahre Gestalt. Sie musste daran denken, dass er in diesem Moment sterblich war. Ob er sich unwohl fühlte?
    Andererseits bot sie mit ihren Pinseln und seidenen Haarbändern wohl kaum einen bedrohlichen Anblick.
    »Guten Morgen, Faunia.« Seine Stimme war sanft und tonlos, als würde er seine eigenen Worte verstehen, aber nicht fühlen.
    »Euer Majestät«, erwiderte sie mit einer tiefen Verneigung.
    Er breitete die Hände aus. »Also dann... sage mir, wie ich mich hinstellen soll.«
    Mion spürte, wie ein albernes, ungläubiges Lächeln in ihrem Hals kitzelte, während sie dem Prinz Anweisungen gab.
    Dann begann sie zu malen. Wie gestern tat sie nichts anderes, als den Hintergrund mit Schwarz auszufüllen, und das so langsam wie möglich. Dabei gab sie acht, dem Prinzen immer wieder prüfende Blicke zuzuwerfen. Heute fiel es ihr schon leichter als gestern - vielleicht weil er weniger wie ein Drache und mehr wie ein Junge aussah.
    Während sie den unteren Teil des Gemäldes ausmalte, betrachtete sie immer wieder das Gesicht, das Jagu heute früh gezaubert hatte. Es sah dem Prinzen wirklich verblüffend ähnlich. Nur die Augen wirkten ein wenig strenger und herrischer als in Wirklichkeit und sie waren dunkel. Sie hatte vergessen, Jagu seine Augenfarbe zu nennen.
    Gedankenverloren strich sie mit dem Pinsel über die Leinwand. Der Prinz erwiderte ihren Blick.
    »Was fühlst du, wenn du malst?«
    Verblüfft sah sie ihn an. Sofort begannen sich hundert Rädchen in ihrem Kopf zu drehen. »Das ist schwer in Worte zu fassen, Majestät«, sagte sie langsam. »Also, man fühlt... man vergisst die Zeit. Man geht ganz nah an die Dinge heran. Eine einzige Falte in Eurem Umhang wird für eine Weile das Wichtigste auf der Welt. Und ohne nachdenken zu müssen, versteht man plötzlich alles. - Jedenfalls hat man das Gefühl, es wäre so.« Sie lächelte verwundert. Tatsächlich hatte sie sich so gefühlt, als sie gezeichnet hatte. Abgesehen von der Frustration über ihre Talentlosigkeit - die behielt sie lieber für sich. »Es ist Unsinn, Euer Majestät. Es sind nur Gefühle.«
    »Ich glaube«, sagte er nach einer Weile, »man kann Schönheit und Kunst nicht nur fühlen, sondern auch verstehen. So erfreuen wir Drachen uns an der Schönheit

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