Rabenmond - Der magische Bund
verwandelten sich in Männer, sonst zogen sie ihre mächtigen Korpusse vor.
Schließlich traf ein Wagen ein, aus dem ein Mädchen stieg. Der Fuchs richtete sich auf: Sie war es.
Sie hatte eine große, verpackte Leinwand und eine Kiste unter dem Arm. Nervös überreichte sie den Sphinxen ihre Sachen, damit sie sie überprüfen konnten, und zeigte ihren Bürgerschein.
Die Sphinxe ließen sie passieren. Der Fuchs drehte sich um und beobachtete, wie sie auf der anderen Seite des Tores wieder ins Sonnenlicht trat, auf eine Barke stieg und den Fluss hinaufgefahren wurde.
Lyrian flog hinterher. Als sich die Bäume lichteten und der Fluss sie an wilden Wiesen, Hügeln und Pagoden vorbeitrug, drehte sie neugierig den Kopf und sah sich um. Was sie wohl dachte?
Schließlich legte die Barke an den breiten Stegen an, von denen aus eine riesige Treppe ins Innere des Palasts führte. Abermals musste das Mädchen den Bürgerschein vorzeigen. Dann führten zwei Löwen sie in den Palast.
Lyrian flog zurück in die Turmhalle, verwandelte sich und ordnete seine Haare. An den Schläfen und am Nacken ließ er sich ein paar Federn wachsen. Zuletzt konzentrierte er sich auf ein zartes Fellmuster auf Stirn und Handrücken und hoffte, dass es nicht zu übertrieben wirkte.
Dann dauerte es eine halbe Stunde, bis die Malerin kam. Erst als er Schritte auf der Treppe hörte, fiel ihm ein, dass er hier nicht so stehen und auf sie warten konnte. In Schwalbengestalt versteckte er sich am Fenstersims. Kaum einen Augenblick später betrat sie mit zwei Sphinxen die Halle.
Einer der Löwen verwandelte sich. »Seine Majestät der Prinz wird bald erscheinen.«
Sie nickte und machte sich daran, die Leinwand an der Staffel zu befestigen und ihre Malutensilien auszubreiten. Dann verschob sie die Staffel so, dass die Sphinxe nicht über ihre Schulter blicken konnten.
Lyrian beschloss, aus seinem Versteck zu kommen. Er landete auf dem Teppich und stieß gegen den Tisch, sodass das Zepter herunterfiel. Erst durch das Scheppern wurde das Mädchen auf ihn aufmerksam.
Lyrian räusperte sich. Dann merkte er, dass er seine Akzente völlig vergessen hatte und in seiner reinen Menschengestalt vor ihr stand. Zum Glück verbeugten die Künstlerin und die Sphinxe sich, sodass ihm ein paar Sekunden blieben, um den Fehler zu korrigieren. Als sie sich wieder aufrichteten, spürte Lyrian entsetzt, dass ihm Schnurrbarthaare wuchsen. Mit einem unwirschen Händezappeln wünschte er sie fort.
»Euer Majestät«, sagte die Künstlerin steif.
»Guten Tag«, erwiderte er. Dann wandte er sich an die Sphinxe. »Ihr könnt gehen.«
Die Sphinxe hielten inne. »Majestät. Ihre Hoheit die Kaiserin hat angeordnet...«
Lyrian sah sie mit glühendem Blick an. Wie wagten sie es, ihn so bloßzustellen... Die Sphinxe verneigten sich wieder und zogen sich zurück.
»Erhebe dich«, sagte er, als sie alleine waren. Eine Weile betrachtete er alles an ihr: die aufgesteckten Haare und das leuchtend blaue Kleid, die gefalteten Hände und die Füße, die sie zögerlich zusammenschob. War sie tatsächlich seine Mörderin, Lichtgestalt so vieler Tagträume? Jetzt wirkte sie jedenfalls eher verschüchtert, ganz wie ein gewöhnlicher Mensch. »Sieh mich an.«
Widerwillig hob sie den Blick. Lyrian packte das heftige Verlangen, sein Gesicht nach Schnurrbarthaaren abzutasten, doch er widerstand.
»Wir können mit dem Porträt beginnen. Wenn du so weit bist«, sagte er rasch. Dann stellte er sich neben dem Vorhang in Position, verschränkte die Arme und senkte sie wieder. Ihm war nie aufgefallen, wie überflüssig Arme sein konnten - sie hingen ja wie leblose Fische an ihm herunter.
Die Künstlerin verschob die Staffel und bereitete alles sehr bedächtig vor. Dann begann sie zu malen. Hin und wieder flatterten ihre Wimpern hoch und ihre Augen trafen sich für Sekundenbruchteile. Sie ist das Mädchen aus dem Wald, dachte Lyrian, nur um im nächsten Moment fest davon überzeugt zu sein, dass er sich irrte. Ein Dutzend Mal war er kurz davor, etwas zu sagen, und ebenso oft überlegte er es sich anders.
Allmählich taten Lyrian die Füße weh. Er verlagerte sein Gewicht und musste immer wieder die Schultern straffen. Schließlich beschloss er, dass es genug war. Er wartete, bis er sicher war, dass seine Stimme ihm gehorchen würde. »Für heute reicht es. Wir werden morgen weitermachen.«
Das Mädchen trat von der Leinwand zurück, als hätte es sich daran verbrannt, und machte einen hastigen
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