Rabenmond - Der magische Bund
hinterließ nasse Fußspuren. Mion sah, dass sie zitterte.
»Ich hab die ganze Nacht in der Badewanne gelegen«, lachte sie, als sei das ein unglaublicher Witz. »Ist es Morgen oder Abend? Ich war die ganze Zeit in der Badewanne! Ist es früh oder schon spät? Zeit für... Jagu... ich brauche eine Schlange...«
Ohne auf ihn zu warten, verschwand sie in das Schlafzimmer.
Für eine Sekunde streifte sein Blick Mions. Keiner wollte sich zuerst bewegen. Dann atmete er tief aus und sie folgten Faunia in den Kreidekreis.
Am nächsten Morgen wies Mion den Wagenjungen an, sie vor ihrem Palastbesuch zum Meister der Schneidergilde zu bringen. Es war ein warmer, sonniger Tag, und sie fühlte sich unbeschwerter, als ihr Gewissen hätte zulassen dürfen.
Atlas ließ sie heute lange in der Eingangshalle warten, sodass sie schon befürchtete, er sei ernsthaft eingeschnappt. Nach einer Viertelstunde erschien er endlich, blass und besorgt, aber mit einem Lächeln.
»Ich wollte dich schon längst besuchen«, gestand er. »Schön, dass du da bist.«
Mion wartete darauf, dass er erklärte, was ihn gerade so lange aufgehalten hatte, aber ausnahmsweise sparte Atlas an Worten.
»Hast du viel zu tun?«, erkundigte sie sich, als sie in sein Arbeitszimmer gingen.
Er nickte bedächtig.
»Na, was auch immer du gerade machst. Ich habe neue Aufträge für dich.« Sie erzählte ihm, dass sie den Prinzen porträtierte. »Dabei will ich deine Kleider tragen«, schloss sie feierlich.
Atlas lächelte. »Meinen Glückwunsch, Mion. Gleich den Prinzen malen zu dürfen - da brichst du bestimmt ein Dutzend Rekorde.«
Er war nicht halb so überwältigt, wie Mion erwartet hatte. »Und, kannst du mir neue Kleider machen? Fünf Stück für den Anfang, hat mein Meister gesagt. So schnell wie möglich. Geld spielt keine Rolle.«
Er pfiff anerkennend, aber auch jetzt hielt seine Begeisterung sich in Grenzen.
»Was ist, kannst du den Auftrag nicht annehmen?«, fragte Mion ungeduldig.
Nachdenklich schob Atlas ein paar Stoffballen zurecht und ließ sich gegen den Tisch sinken. »Doch, doch... das heißt, das kann ich nicht entscheiden.«
Mion runzelte die Stirn. So kannte sie Atlas gar nicht - sonst ließ er sich doch nicht alles aus der Nase ziehen.
»Ich würde dir liebend gerne Kleider schneidern...«
»Atlas, was ist los?«
»Die Drachen bezahlen dich, damit du für sie malst. Mit dem Geld kaufst du dir eine Garderobe bei mir. Ich wiederum muss damit die Stoffe bezahlen, die aus Aradur, Whalentida und Parsepa kommen... aber die Handelsstraßen führen durch Kossum. Und Kossum steht kurz davor, von den Geschwisterstaaten erobert zu werden. Wenn die Drachen den Krieg verlieren, verlieren sie auch die Handelsstraßen. Dann gibt es keine Stoffe mehr, keine Kleider, also auch keine Bilder mehr... keine Gilden.«
Mion schüttelte den Kopf. »Also fehlen dir Stoffe?«
»Jetzt noch nicht. Aber wenn die Drachen es nicht schaffen, ihre Pflicht zu erfüllen...«
Ihr gefiel es gar nicht, wie er seine Sätze so offen ließ. »Du weißt, dass ich von Politik nichts verstehe. Sag mir einfach, ob du meine Kleider schneidern willst oder nicht.«
»Denk doch nach, Mion«, sagte er leise. »Es ist keine Frage des Wollens.«
Eine Weile tat sie ihm den Gefallen und dachte nach. Vor allem darüber, warum er sich heute so eigenartig verhielt. Dass Wynter gegen die Menschenstaaten Krieg führte, war schließlich nichts Neues, und die Situation konnte jetzt wohl nicht viel schlimmer sein als vor einer Woche.
»Atlas, ich muss gleich wieder gehen. Der Prinz erwartet mich.« Aber selbst das machte keinen Eindruck auf ihn. Mürrisch dachte Mion daran, wie aufgekratzt er war, wenn sie Faunia erwähnte. »Vielleicht sehen wir uns morgen? Denk noch mal über die Kleider nach, ja?«
Sie war schon im Flur, als Atlas ihr nachlief. Er öffnete den Mund und hielt unsicher inne.
»Ich kann ehrlich zu dir sein, oder?«, fragte er.
»Natürlich«, sagte Mion überrascht.
Er trat noch näher und senkte vertraulich die Stimme. »Ich weiß, dass du noch nicht lange zu den Gilden gehörst und nicht damit aufgewachsen bist, aber... glaub mir, es wird nicht ewig so weitergehen wie jetzt. Die Dinge verändern sich, Mion.«
Sie verzog die Brauen. »Ist das der Grund, warum du so besorgt bist?«
Er nickte. »Komm heute Abend wieder. Ein paar Freunde treffen sich... Freunde, die denken wie wir. Dann wirst du mehr erfahren.« Er drückte ihr Handgelenk. »Aber bring nicht
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