Rabenmond - Der magische Bund
wie ihr Menschen - eben nur auf eine höhere... auf eine andere Art.«
Bis jetzt hatte sie nie darüber nachgedacht, wie man auf Kunst reagierte. Aber was der Prinz sagte, gefiel ihr.
Er schien noch weitersprechen zu wollen, schloss aber dann den Mund und schwieg.
Bevor Mion ging, betrachtete er lange das Gemälde.
»Dann wirst du morgen wiederkommen?«, fragte er.
Sie verneigte sich.
Als sie den Palast verließ und mit der Barke zum Tor gebracht wurde, war ihr, als nehme sie ein Stück der Drachenwelt mit sich; die sanfte Tonlosigkeit seiner Stimme ging ihr nicht aus dem Kopf.
»Er ist... ich weiß nicht, ich kann ihn nicht einschätzen«, seufzte Mion, als sie zurück im Atelier war. Sie saß zwischen Farbpaletten, Töpfen und Pinseln auf dem Tisch und hielt eine Schale mit Zuckermandeln auf dem Schoß. Ihr war schon ein bisschen schlecht von dem süßen Zeug, aber sie war zu nervös, um aufzuhören.
»Er hat mich gefragt, was ich beim Malen fühle. Wie er nur auf so was kommt?« Nachdenklich beobachtete sie, wie das Gemälde Pinselstrich um Pinselstrich lebendiger wurde. »Jagu? Also... du bist wirklich sicher, dass die Drachen nur...«
»Nur Menschen sind? Ja.« Mit farbverschmierten Fingern pickte er sich ein paar Zuckermandeln aus der Schale. »Hab bloß keine Ehrfurcht vor ihm. Er ist nur ein Junge.«
»Ich hab keine Ehrfurcht«, murmelte sie.
»Über was habt ihr noch geredet?«
»Nicht viel... nur das, was ich dir schon gesagt habe.«
»Hm. Nicht sehr gesprächig, unser Prinz. Er war nicht gelangweilt von dir?«
»Weiß nicht. Ich glaube nicht. Ich weiß nicht.«
»Wir müssen uns etwas für morgen überlegen.«
Nervös nagte Mion an einer Mandel. Am liebsten hätte sie gesagt, dass sie das für keine gute Idee hielt. Sie wusste überhaupt nicht, wie sie dem Prinzen das Geheimnis der Gestaltenwandlung entlocken sollte - wie sollte sie ihm jemals so nahekommen? Andererseits war sie ihm schon viel nähergekommen, als sie sich je hätte träumen lassen.
Sie verbrachte den Abend im Atelier, insgeheim darauf wartend, dass sie Ritus spielen würden. Aber Faunia, die bis jetzt immer den Anfang gemacht hatte, tauchte nicht auf. Mehrmals wollte Mion nach ihr fragen, doch sie traute sich nicht, weil Jagu genau wissen würde, woran sie dachte.
Als das Gemälde spätnachts fertig war, ging sie ins Bett und beobachtete von ihrem Zimmer aus noch eine Weile das Fenster gegenüber. Bei Jagu brannte kein Licht mehr.
Mit einem Kribbeln im Bauch fuhr Mion am nächsten Tag in den Palast. Sie war neugierig, wie das Treffen mit dem Prinzen diesmal verlaufen würde und ob sie vielleicht den Mut fanden, mehr miteinander zu reden. Gleichzeitig wünschte sie sich, sie könnte sich irgendwo verkriechen und nie wieder herauskommen.
Als sie in der Halle erschien, war der Prinz schon da. Die Sphinxe zogen sich diesmal von allein zurück.
Gerade wollte sie ihren Pinsel nehmen, da trat der Prinz neben sie und betrachtete das fertige Porträt.
»Ja, ähm, ich habe gestern Abend noch daran gearbeitet«, stammelte Mion. Und fügte überflüssigerweise hinzu: »Es ist fertig.«
Er lächelte verwundert. »Du bist die schnellste Malerin, die ich je getroffen habe. Aber es ist wunderschön. Als... als könnte ich mich mit deinen Augen sehen.«
Sie schluckte laut.
»Ich lasse den Lohn an deinen Meister schicken. Aber wenn du noch einen Wunsch hast, nenne ihn mir. Ich will ihn dir erfüllen.«
Fast fürchtete sie, er könnte hören, wie die Ideen durch ihren Kopf wirbelten. Doch dann entschied sie sich.
»Ich würde nur gerne eins wissen, Majestät. Wieso habt Ihr ausgerechnet mich mit dem Gemälde beauftragt?«
Etwas in seinen Augen veränderte sich. Sie hatte das Gefühl, ganz langsam in etwas zu versinken, das warm und golden war wie Spätsommerlicht. »Das weißt du«, erwiderte er so leise, dass sie es sich hätte einbilden können. Die Stille knisterte in ihren Ohren. Mühevoll flüsterte er: »Wer bist du?«
Sie konnte sich nicht von seinem Blick losreißen. Viel zu spät trat sie einen Schritt zurück und brach den Bann - viel zu spät, um noch abzustreiten, wer sie wirklich war. Mit einem schweren Atemzug betrachtete sie das Gemälde und zum Glück tat der Prinz dasselbe. So standen sie eine Weile nebeneinander, ohne sich zu beachten.
Dann wandte er sich plötzlich wieder zu ihr um. »Ich will, dass du es mir beibringst.« Scheinbar war er über diese Offenbarung ebenso erstaunt wie sie. Er
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