Rabenmond - Der magische Bund
wahr?«
»Ja.«
»Glaubst du, der Prinz hat sich aus Vernunft mit dir angefreundet?«, fragte Nethustra leise. Als er keine Antwort vernahm, brummte er zustimmend. »Du hast ihn nicht infrage gestellt, denn so hat man es dir beigebracht. Die meisten Menschen sind blind für die Dinge, die ihrem Glauben widersprechen.« Er deutete auf seine leeren Augenhöhlen und seine Stimme bekam einen schärferen Ton. »Auch mich haben die Drachen lange blind gehalten. Erst als sie mir das Augenlicht nahmen, begann ich, klar zu sehen. Im Tausch gegen meine Sicht erhielt ich Erkenntnis.« Eine Weile schwieg er, die Lippen fest aufeinandergepresst. Dann erhob er sich und streckte die Arme aus. »Komm näher.«
Gehorsam trat Baltibb vor ihn, bis seine Hände ihre Schultern berührten. Er drückte sie sanft und nickte. »Sei willkommen, Baltibb. Ab heute bist du nicht mehr blind.«
Gefühl und Verstand
W ährend der langen Regentage wartete Mion nur darauf, von Lyrian zu hören, doch keine Nachricht kam. Sie begann, sich Sorgen zu machen - nicht dass er sie womöglich nicht wiedersehen wollte, sondern um ihn . Irgendwas hielt ihn auf, sonst hätte er ihr längst geschrieben.
Dann kam endlich ein kaiserlicher Brief - doch von Lyrian war er nicht. Das Schreiben richtete sich an »alle Gildenmitglieder des Hauses« und verkündete, dass von nun an Treffen, bei denen mehr als sieben Menschen anwesend waren, den Drachen gemeldet werden mussten und eine Genehmigung brauchten. Jagu las Mion den Brief vor, eher er ihn zerknüllte und ins Feuer warf.
»Dann werde ich die kommende Theaternacht wohl melden müssen«, meinte er schlicht.
Zwei Tage später kam ein Rudel Sphinxe. Mion, die gerade mit Jagu Ritus spielen wollte, blieb fast das Herz stehen, als die Köchin ins Atelier stürzte und mit zittriger Stimme verkündete, dass die Eingangshalle voller Löwen sei. Jagu sagte, dass sie hier warten sollte, und ging hinunter.
Als er nach fünf Minuten nicht zurückkam, schlich Mion zur Treppe und blieb lauschend stehen. Sie hörte einen der Sphinxe über Lehrlinge sprechen. Für einen kurzen Augenblick erwog sie davonzurennen, solange sie noch konnte. Aber schließlich verschwanden die Sphinxe wieder und Jagu kam zurück.
»Sie wollten nur sehen, ob ich noch hier bin.« Weil sie ihn verständnislos anstarrte, fuhr er fort: »Offenbar sind ein paar Gildenmitglieder zu den Rebellen übergelaufen. Jetzt prüfen die Sphinxe in jedem Haus, ob jemand verschwunden ist.«
In der folgenden Nacht erwachte sie durch furchtbare Schreie.
»Freiheit! Freiheit! Frei-«
Die Stille, die dem abgerissenen Ruf folgte, war beinahe noch unheimlicher. Sie rannte zu Jagu, weckte ihn auf und erzählte ihm, was passiert war.
»Diese Narren«, murmelte er.
Mion kroch mit angezogenen Beinen neben ihn. Sie hatte Angst. Irgendetwas passierte mit den Gilden und Drachen, und sie konnte das Gefühl nicht loswerden, dass sie und Jagu in Gefahr waren... oder Lyrian …
Jagu ließ zu, dass sie neben ihm einschlief, und zog die Bettdecke über sie.
Mion verbrachte lange Stunden am Fenster und blickte auf die Straße hinaus in den Regen. Sie hielt Ausschau nach einem Briefboten oder nach Sphinxen, aber vor allem schlug sie die Zeit tot und versuchte, an nichts zu denken.
Dann sah sie, dass sich draußen vor dem Tor etwas bewegte. Sie kniff die Augen zusammen. Im Regen war sie sich nicht sicher, ob es ein -
Sie stieß einen erschrockenen Schrei aus, als ein Vogel an ihr Fenster flog. Eine Schwalbe. Fiebrig riss sie das Fenster auf. Im nächsten Augenblick taumelte Lyrian ins Zimmer.
Er troff vor Nässe und atmete schwer. Für Sekunden starrten sie sich nur an.
»Wie... woher wisst Ihr -« Tausend Gedanken fegten ihr durch den Kopf. Woher wusste er, wo sie wohnte? Was hatte sie überhaupt an? Ihre Haare waren ungekämmt. Sie fühlte sich bloßgestellt, ertappt - und entwaffnet. Ihr war, als stünde die Wahrheit auf ihrer Stirn geschrieben.
»Ich konnte dir nicht mehr schreiben. Weißt du, wie lange ich durch die Straßen gelaufen bin, bevor ich sicher war, dass mir niemand folgt?« Er lächelte verzweifelt.
Mion sog scharf die Luft ein, dann nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn in ihr Zimmer. Hoffentlich, hoffentlich kam Jagu nicht. Oder sonst jemand.
»Was ist passiert?«, flüsterte sie, als sie die Tür geschlossen hatte. Ihn hier zu sehen war vollkommen absurd.
»Ich wollte mich verabschieden.«
» Was ?«
»Ich werde Wynter verlassen.«
Sie
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