Rabenmond - Der magische Bund
um die Wahrheit über die Drachen im Land zu verkünden, der Kampf gegen ihre Herrschaft ist zugleich ein Kampf gegen die Unwissenheit. Nicht jeder gute Bauer versteht den Sinn des Kampfes, zu tief sitzt der Glaube an die Drachen, zu mächtig ist die Selbstunterschätzung.« Nethustra seufzte schwer. »Aber genug der Worte. Ihr müsst erschöpft sein. Lasst uns schlafen und zu Kräften kommen, damit wir morgen die Welt verändern können.«
Peramon neigte ehrerbietig das Haupt. Als er aufstehen wollte, kam ihm Kasamé zuvor.
»Entschuldigt, dass ich euch aufhalten muss, Freunde. Es gibt noch etwas, das wir heute Abend beschließen müssen.«
Nethustra neigte den Kopf. »Kasamé? Ich freue mich, dich zu hören. Was gibt es?«
»Es geht um dieses Mädchen«, sagte Kasamé laut und zog Baltibb am Arm hoch. Baltibb erstarrte, als alle Blicke sich auf sie richteten. Nethustra runzelte die Stirn, regte sich aber sonst nicht.
»Wir haben sie im Wald gefunden, zwei Tagesreisen von hier. Sie behauptet, eine Dienerin der Drachen gewesen zu sein und eine Entflohene. Sie hat einen schwarzen Hund dabei. Wir haben ihn lange beobachtet, er ist kein Drache.« Sie hielt inne. Sorge, ja, Schreck stand in die Gesichter ringsum geschrieben, nur Nethustras Miene blieb ausdruckslos.
»Ich brachte es nicht über mich, sie zu töten«, fuhr Kasamé leise fort. »Laufen lassen konnten wir sie natürlich auch nicht. Darum haben wir sie mitgenommen, damit Ihr über ihr Schicksal bestimmt, Nethustra. Sie weiß nun, wo Albathuris liegt, und hat unser Gespräch mit angehört. Ihr sollt entscheiden, ob sie sterben oder aufgenommen werden soll.«
Stille folgte. Im Feuer krachte ein Holzscheit.
»Du bist kühn mit dem Bogen«, hob Nethustra an und faltete die Hände. »Was hat dich also bei dem Mädchen zögern lassen zu schießen?«
Kasamés Ausdruck blieb ruhig, ihr Griff an Baltibbs Arm unverändert. »Sie hat geweint, als wir sie fanden. Ich glaube nicht, dass sie uns auflauerte.«
Leises Murmeln lief durch die Menge. Lieber wäre Baltibb erschossen worden, als jetzt so vor Gericht gestellt zu werden. Sie presste die Lippen aufeinander.
Nethustra nickte, als habe er einen Entschluss gefasst. »Das Mädchen soll vortreten und seine Geschichte erzählen.«
Kasamé zog Baltibb in die Mitte der Tafel und ließ sie dort stehen. Mond trottete neben Baltibb und blickte fragend zu ihr auf. Schwerter wurden gezogen, ein junger Krieger am Rand der Tafel griff nach dem Bogen an seiner Stuhllehne.
»Wie heißt du, Mädchen?«, fragte Nethustra. Seine vernarbten Augenhöhlen schienen Baltibb anzustarren und tiefer zu dringen als jeder Blick.
»Baltibb«, sagte sie.
»Erkläre, wie du den Drachen gedient hast und wieso du flüchten musstest.«
Ihr Blick schweifte durch die Menge. »Ich war Wildhüterin. Im Palast. Ich war... Der Prinz mochte mich. Deshalb haben sie meinen Vater umgebracht.«
»Der Prinz?«, wiederholte ein fein gekleideter Junge und beugte sich vor, die Stirn in Falten gelegt.
»Ja.«
»Du kanntest ihn?«
»Wir... wir waren Freunde.«
»Dann weißt du sicher, wie er heißt?«, fragte er listig.
Baltibb nickte zögerlich. Seinen Namen hier auszusprechen, schien ihr wie ein Verrat. Die Rebellen beugten sich erwartungsvoll vor. »Er... er heißt Lyrian.«
Der Junge blickte um sich. »Sie sagt die Wahrheit. So heißt er.«
»Woher weißt du das?«, erwiderte Baltibb.
Der Junge sah ihr ernst in die Augen. »Ich war ein Gildenmitglied. Ich habe den Palast der Drachen oft besucht und weiß einiges über sie.«
Baltibb bekam ein unruhiges Gefühl. Obwohl sie den Drachen keine Treue mehr schuldete, bereitete ihr der Gedanke, dass diese Leute in die Geheimnisse des Palasts eingeweiht waren, eine Gänsehaut.
Nethustra legte den Kopf schief. »Was weißt du über den Prinzen? Wie oft hast du ihn gesehen?«
Baltibb erzählte. Die Rebellen hatten immer mehr Fragen und sie beantwortete alle. Besorgte, erstaunte, verbitterte Blicke hingen an ihren Lippen, während sie das Heiligste preisgab, das sie besaß. Zugleich fühlte sie sich so erleichtert, endlich alles, alles sagen zu können - jedes ausgesprochene Wort hob einen Stein von ihrem Herzen wie von einem Grab, und darunter kam sie hervor.
Als sie geendet hatte, schwiegen die Rebellen. Schließlich fragte Nethustra: »Was hältst du also davon?«
»Ich?« Sie stockte. »Ich... weiß nicht.«
»Aber du weißt doch, dass die Drachen behaupten, keine Gefühle zu haben. Nicht
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