Rabenmond - Der magische Bund
Zimmer und schloss die Tür. Als sie zu ihm aufblickte, spielte ein eisiges Lächeln um seinen Mund.
»Ich wusste nicht, dass er kommen würde«, sagte sie mühsam.
»Ein gefährliches Unterfangen, bestimmt«, erwiderte Jagu und nickte. »Aber ich weiß, wann ihr euch unbehelligt wiedersehen könnt. Sag unserem Prinzen, er soll nach Kossum ziehen, wie die Kaiserin befohlen hat. Wenn er in drei Monaten wiederkommt, wirst du ihn bei der Theaternacht treffen, die ich veranstalte. Alle Gildenmitglieder werden geladen sein, und ich gehe davon aus, dass die Drachen ein Dutzend Raben als Spione schicken. Nicht aber, wenn der Prinz erklärt, das Gildentreffen höchstpersönlich zu überwachen - nach seiner Zeit in Iwyndell sollte er schließlich geübt darin sein. So ist er der einzige anwesende Drache und du eine von vielen Gildenmitgliedern. Niemand wird wissen, dass er deinetwegen gekommen ist, und ihr habt ein ungestörtes Wiedersehen, bevor er dich zur Wintersonnenwende mitnimmt.«
Mion starrte ihm in die Augen, die unergründlich waren wie graue Eisschluchten. »Er hat mir... er hat mir das Geheimnis der Gestaltenwandlung verra -«
»Ja, erstaunlich nicht?«, sagte Jagu unbeschwert. »Die Laster der Armen sind denen der Mächtigen ähnlicher, als man glaubt. Doch Aufrichtigkeit kann sich keiner von beiden erlauben.«
In der Stille sahen sie sich an. Mion fröstelte. Sie begriff, dass er sie gehört hatte. Auch das Letzte.
»Geh jetzt«, befahl Jagu leise.
»Er wird Wynter verlassen.«
»Wenn du ihn bittest, wird er wiederkommen.« Er streckte die Hand aus und wischte ihr eine Träne aus den Augenwinkeln. »Eine so gute Schauspielerin wie du...« Ohne den Blick von ihr zu wenden, öffnete er ihr die Tür.
Mion ging. Sie presste die Augen zu.
»Reiß dich zusammen«, murmelte sie.
Sie erlaubte sich nicht, vor ihrem Zimmer stehen zu bleiben, Luft zu holen und sich zu sammeln - stattdessen öffnete sie die Tür schwungvoll und trat geradewegs ein.
Inzwischen war es so dunkel geworden, dass sie kaum mehr als eine Silhouette von Lyrian ausmachen konnte.
»Du musst jetzt gehen.« Ihre Stimme brach ab. Sie biss sich auf die Lippen. Was tat sie nur. Auf wessen Seite stand sie überhaupt, was wollte sie?
»Ich kann Wynter nicht verlassen. Noch nicht... und Ihr auch nicht. Geht nach Kossum und erfüllt Eure Pflicht, dann kommt wieder und... trefft mich bei dem Theaterfest, das mein Meister veranstaltet. Ich werde da sein und so viele andere Menschen auch, dass ich nicht...«
Verwirrt sah er sie an. »Wovon redest du?«
»Ich kann jetzt noch nicht gehen! Ich kann nicht... ich... kann meinen Meister nicht alleine lassen. Er braucht mich, verstehst du? Er hat nur mich. Und ich habe nur ihn.«
Leise sagte er: »Das stimmt nicht.«
»Versprich mir, dass wir uns in der Theaternacht sehen. In drei Monaten... ja? Lass mir drei Monate. Dann kann ich gehen.«
»Ich verstehe dich nicht.« Seine Stirn berührte ihre. Ehe sie seinen Atem auf den Lippen spüren konnte, war er zurückgetreten, und im nächsten Moment flog eine Schwalbe aus dem Fenster. Zitternd stand Mion da und lauschte in die Regennacht.
Vergangenheit
B altibb konnte nicht schlafen. Nach dem Abendessen waren alle Rebellen außer Nethustra zu den Türmen zurückgekehrt - der Führer von Albathuris hatte seine Schlafkammer im großen Ratsgebäude. Baltibb war in einen Raum gebracht worden, in dem fast zwei Dutzend Frauen schliefen. Sie bezog die Pritsche neben Kasamé, die seit dem Gespräch an der Tafel nicht mehr mit ihr geredet hatte. Ihr war klar, dass Kasamé ein Todesurteil ebenso stillschweigend hingenommen hätte. Aber sie konnte der Bogenschützin nicht böse sein. Sie hatte allen Grund gehabt, ihr zu misstrauen - dass sie sie nicht gleich umgebracht hatte, war erstaunlich genug.
Nachdenklich blickte sie zur Fensternische auf. Sie hörte das leise Prasseln des Regens und hatte das Gefühl, in das Leben einer anderen geraten zu sein. Die Sommer im Palast, Lyrian, die Tiere, ihr Vater... alles war irgendwo in einem wirren Strudel der Zeit zurückgeblieben. Selbst als sie mit Lyrian auf der Flucht gewesen war, hatte das Leben im Palast seine Wirklichkeit nicht so verloren wie jetzt. Nun spürte sie, dass es endgültig hinter ihr lag, verloren in ungreifbarem Nebel.
Frühmorgens wachten die Rebellen auf. Baltibb, die einen leichten Schlaf hatte, fuhr bei den ersten Geräuschen hoch, rieb sich die Augen und zog sich das Wams über, das sie über
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