Rabenmond - Der magische Bund
zumurrte - wobei Mion stark vermutete, mitgemeint zu sein. Fast bewunderte sie Faunia dann um ihre erhabene Gleichgültigkeit. Sie ignorierte die Köchin, Morizius und Mion bei Tisch so standhaft wie eine Königin das unwürdige Gesinde.
Faunia wies ihr auch keine Aufgaben mehr zu. Offenbar war ihr klar geworden, dass die Langeweile Mion noch mehr zusetzte als schmachvolle Putzarbeiten. Einmal, als Mion den verschneiten Garten zum dritten Mal umrundete, entdeckte sie in einem Fenster Faunia, die sie mit gerümpfter Nase beobachtete. Wieso spionierte sie ihr nach, wenn sie sie sonst wie Luft behandelte? Faunia war ein einziges Rätsel.
Eines Morgens nach dem Frühstück sagte sie, ohne Mion anzusehen: »Komm mit.«
Schweigend gingen sie die Wendeltreppe hinauf zum Atelier. Faunia krempelte die Ärmel ihrer Tunika hoch, die so gar nicht zu ihrer Vorliebe für extravagante Kleidung passen wollte. Jetzt wurde Mion auch klar, warum Faunia das schlichte Stück trug: Als sie im Atelier ankamen, wählte sie mit kundigem Blick ein Dutzend langer Holzleisten aus einem Regal und hob sie auf die Schulter. Die Leichtigkeit, mit der sie sich das schwere Holz auflud, überraschte Mion.
»Wir brauchen Leinwände und du hilfst mir bei der Herstellung«, erklärte sie knapp und unfreundlich wie immer.
Mion folgte ihr ins höher gelegene Zimmer. Die Luft schwelgte im Geruch frischer Ölfarbe, der sich förmlich auf der Haut niederzulassen schien. Faunia nahm eine Säge aus einer Truhe, lief zurück und wuchtete die Bretter auf einen Arbeitstisch. Mit einem roten Faden begann sie, Maß zu nehmen, und setzte die Säge an.
Mion hockte sich auf die Sessellehne und verschränkte wartend die Arme, bis sie gerufen wurde. Faunia zersägte geübt das erste Brett. Handwerkliche Geschicklichkeit war nicht gerade etwas, was Mion ihr zugetraut hätte. Aber schließlich war sie ja schon geraume Zeit länger Jagus Lehrling. Lange genug offenbar, um wenigstens etwas gelernt zu haben, dachte Mion mürrisch.
Ihr Blick fiel auf das unfertige Gemälde, das noch immer an der Staffel klemmte. Jemand hatte daran weitergearbeitet. Inzwischen waren mehrere Farben dazugekommen und das Gesicht der Figur hatte erkennbare Züge erhalten. Es war eine ältere Dame mit einem Fächer in der Hand - also doch nicht Faunia.
Jagu musste hier gewesen und daran gearbeitet haben. Die Farbe war noch ganz frisch. Mion warf einen Blick zur verschlossenen Tür, hinter der das Schlafzimmer lag. War Jagu vielleicht dort?
Nachdem Faunia vier Leisten zurechtgeschnitten hatte, winkte sie Mion herbei und überreichte ihr einen Sack voll Nägel und einen Hammer, um die Leisten zu einem Rahmen zusammenzubauen. Obwohl es keine künstlerische Herausforderung war, freute Mion sich, endlich richtige Lehrlingsarbeit zu verrichten.
Sie gingen schweigend ans Werk. Nach einer Weile merkte Mion, dass sie zum ersten Mal zusammen waren, ohne dass ihr vor Unwohlsein das Atmen schwerfiel. Hätte ein Außenstehender beobachtet, wie sie in den hellen Lichtstreifen beieinander standen, sich Gegenstände reichten, arbeiteten, hätte man sie glatt für alte Kameradinnen halten können.
Nachdem sie den ersten Rahmen zusammengesetzt hatte und am zweiten saß, fragte sie beiläufig: »Woher weißt du denn, wie viele Leinwände wir bauen sollen? Hat Jagu dir das gesagt?«
Um Faunias helle Stimme trotz der Sägerei zu verstehen, spitzte Mion die Ohren: »Er hat neue Aufträge. Deshalb neue Leinwände.«
»Ist er also wieder... zurück?«
Faunia legte die Säge weg, wischte sich eine Haarsträhne zurück und prüfte, ob die Leisten gleich lang waren. »Wieder zurück! Ist er denn jemals da?« Sie drehte sich um und holte eine große Stoffrolle. Ohne unnötige Worte zu verlieren, erklärte sie Mion, wie man die Rahmen mit dem Leinen bespannte. Sie selbst fing sofort mit dem fertigen Rahmen an. Mion beobachtete erstaunt ihre Geschicklichkeit. Dann machte sie den zweiten Rahmen fertig und versuchte, ihn zu bespannen wie Faunia.
Es war schwieriger, als sie gedacht hatte. Der Stoff musste richtig gestrafft werden und die Nägel sauber eingehämmert. Mion hatte zu Hause nur gelernt, wie man mit Nadel und Faden umging, aber von jeder Bauarbeit war sie ferngehalten worden. Ihr Vater hatte sie nicht einmal zum Holzfällen mitgenommen, obwohl sie so oft darum gebettelt hatte, ihn aus den Ruinen hinausbegleiten zu dürfen.
Während sie die Leinwände bauten, wanderten Mions Gedanken zu ihrer Familie
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