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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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zurück. Ob ihr Vater immer noch jeden Morgen in den Wald aufbrach? Und ihre Mutter wie gewohnt am Spinnrad saß? Natürlich, sie mussten ja weiterleben... nur weil Mion nicht mehr da war, stand nicht die Zeit still. Trotzdem, dass in den Ruinen auch ohne sie ein Tag wie der andere verstrich, blieb eine befremdende Vorstellung.
    Irgendwo im Haus klingelte eine Glocke. Faunia war bereits auf den Beinen und verließ das Atelier.
    »Wohin gehst du?« Im Grunde erwartete Mion keine Antwort. Schon war Faunia verschwunden. Wer da wohl klingelte? Es konnte doch nur einen geben, für den Faunia alles stehen und liegen lassen musste: Jagu.
    Kurzerhand stand Mion auf und lief den Gang hinunter. Als Faunia die Treppe mit einem Tablett hochkam, konnte sie sich gerade noch rechtzeitig in einem Zimmer verstecken. Eilig lief Faunia vorbei, ohne Mion zu entdecken, und verschwand an der Ecke.
    Mion seufzte. War sie ernsthaft schon so gelangweilt, dass sie Faunia bespitzelte? Kopfschüttelnd schlich sie ihr nach.
    Am Ende des Flurs lagen zwei Türen. Hinter der ersten fand sie eine Besenkammer, hinter der zweiten eine schmale Treppe nach oben. Licht fiel auf sie herab, denn direkt über den Stufen war ein rundes Dachfenster. Geschirr klirrte. Stoffrascheln. Jemand hustete, ein scharfes, rasselndes Keuchen, gefolgt vom wehleidigen Stöhnen einer alten Frau.
    Jetzt hörte Mion Faunia sprechen, doch sie war viel zu leise. Mion wagte einen Schritt nach oben und hielt inne, alle Muskeln gespannt, als die Stufe knarrte. Verdammt.
    »Vorsicht!«, befahl eine zittrige, schrille Stimme. »Das ist zu heiß, zu heiß, zu heiß!«
    Wieder klapperte Geschirr. »Willst du mich umbringen? Du Taugenichts!«
    »Habe ich die Suppe gekocht?«, gab Faunia erstaunlich wütend zurück. Mion hätte kaum für möglich gehalten, dass sie so leidenschaftlich sein konnte. Das zweite Mal an diesem Morgen, dass Faunia sie überraschte.
    »Was?«, fauchte die Unbekannte. Sie schien noch mehr sagen zu wollen, doch das nächste Wort ging in einem üblen Hustenanfall unter. »Sofort«, japste die Alte. »Raus hier -«
    Mion drehte sich um und lief eilig zurück. Schnaufend erreichte sie das Atelier und schaffte es gerade noch, wieder zu Atem zu kommen, bis Faunia eintrat.
    Ohne sie anzusehen, kehrte Faunia zu ihrer Leinwand zurück und fuhr mit der Arbeit fort. Ihr Mund schien verkniffener und ihre Nasenspitze blasser, doch sonst verbarg sie ihre Gefühle so meisterhaft hinter ihrem schönen Gesicht wie immer.
    Vielleicht war ihre Stimme verräterischer - denn für den Rest des Tages sagte sie kein Wort mehr.
     
    Mion lag wach im Bett und konnte nicht einschlafen. Immer wieder wanderten ihre Gedanken zu den Ruinen zurück. Wie Mirim wohl mit ihrem Tod umging? Dass ihr kleiner Bruder traurig sein könnte, brach ihr das Herz. Wenn sie ihm doch eine Nachricht zukommen lassen könnte, dass sie am Leben war und es ihr gut ging... aber dann müsste sie auch erklären, wieso sie nicht zurückkommen konnte - nicht wollte -, und das war wahrscheinlich noch schlimmer für Mirim, als sie für tot zu halten. Schuldgefühle durchsickerten sie, so als betröge sie ihre Familie absichtlich.
    Und Kajan... hatten die Sphinxe ihn auch festgenommen, war er vielleicht längst tot? Was war mit Saffa? Hatten die Sphinxe ihn im Gegenzug für seinen Verrat verschont? So oder so, wiedersehen würde sie ihre Freunde wahrscheinlich nie mehr. Jetzt, wo sie in der Dunkelheit lag und der Vergangenheit näher zu sein schien als tagsüber, konnte sie es kaum fassen.
    Um sich abzulenken, erinnerte sie sich an die unbekannte Frau, die sie heute mit Faunia belauscht hatte. So wie die Alte Faunia behandelt hatte, konnte sie keine Angestellte sein. Nein, es musste sich um jemanden Bedeutsames handeln, eine Verwandte Jagus vielleicht… Aber irgendwie konnte Mion sich nicht vorstellen, dass er eine Familie hatte. Oder überhaupt jemanden, der ihm nahestand und der ihn kannte.
    Unruhig wälzte sie sich auf die andere Seite. Sie wusste doch nichts von ihrem Meister! Sinnlos, sich über ihn den Kopf zu zerbrechen, er war kaum mehr als ein Fremder. Alles, was sie von ihm wusste, war, dass er sie gerettet hatte und Ritus kannte. Ritus... es war lange her, dass sie es zuletzt gespielt hatte. Das Verlangen danach, noch einmal zu schweben, überkam sie wie in so vielen Momenten in den vergangenen Tagen.
    Ein schwacher Lichthauch fiel durch die Fenster. Mion richtete sich auf. Irgendwo unten im Haus musste eine

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