Rabenmond - Der magische Bund
käme dazu. In einem Kampf hatte sie ganz sicher die besseren Karten. Aber dann ging Faunia zurück, mit lauernd eingezogenem Kopf, und stieß eine Schranktür auf.
»Da«, spuckte sie. Ohne Mion aus den Augen zu lassen, fühlte sie in den Schrank, bekam das nächstbeste Stück zu fassen und warf es ihr zu. Sie fing es in der Luft auf und hielt es vor sich: Es war ein hübsches, zerknittertes Kleid in dunklem Violett. Früher hätte sie kaum gewagt, etwas so Feines anzufassen, aber sie wusste, dass Faunia Kleider wie dieses an normalen Tagen trug. Sie legte es beiseite. »Nein, ich brauche etwas, das für ein Fest angemessen ist.«
Sie schleuderte ihr ein neues Kleid zu, aber es gefiel Mion nicht: Inzwischen kannte sie Faunias Garderobe gut genug, um zu wissen, dass lange Kleider aus der Mode waren. Bleich vor Zorn warf Faunia ihr noch ein Kleid zu, und noch eines und noch eines. Mion begutachtete die Gewänder, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. Schließlich wählte sie eines, das aus mehreren Lagen hauchfeinen dunkelgrünen Tülls bestand und an Kragen und Taille mit schwarzen Samtbändern verziert war. Sie zog sich hinter den Bettvorhängen um und verzichtete darauf, Faunia beim Schließen der Knöpfe um Hilfe zu bitten, weshalb sie sich fast den Arm ausrenkte und eine Naht aufriss. Doch dann hatte sie es geschafft, trat vor einen großen, ovalen Spiegel und musterte sich. Das Kleid saß fast perfekt, nur die Ärmel waren ein bisschen zu kurz. Mion hielt sich die Haare hoch und klemmte sie mit einem perlenbesetzten Kamm fest. In einem offenen Schmuckkästchen lag auch eine prunkvolle Goldkette mit einem hellgrünen Anhänger. Zum Spaß legte Mion sie um - wie schwer sie war! Aber sie steht mir ganz gut, dachte Mion und lächelte.
Sie streifte sich auch noch einen Ring und zwei breite Armreifen über, bis sie merkte, dass Faunia verschwunden war. Überrascht sah sie sich im Zimmer um und begegnete nur den Blicken ihrer eigenen Spiegelbilder.
Mit einem Schulterzucken wollte sie sich wieder dem Schmuck widmen. Was ging es sie an, wenn ihre Mitschülerin eingeschnappt war? Aber dann klappte sie doch das Kästchen zu. Wer wusste schon, was Faunia gerade anstellen mochte.
Mion steuerte ihr Zimmer an. Fast erwartete sie, eine rasende Faunia mit einer Ölkanne vorzufinden, um ihre Habseligkeiten in Brand zu stecken. Doch ihr Zimmer war leer, nichts deutete darauf hin, dass jemand hier gewesen war.
Vielleicht war sie ja hinuntergegangen, um ein Bad zu nehmen. Mit dem vielen Puder im Gesicht hätte sie ausnahmsweise sogar Grund dazu gehabt. Gerade wollte Mion die Treppe hinunterlaufen, als sie sah, dass am fernen Ende des Flurs die Tür zum Atelier offen war.
Einen Augenblick stand sie nur da und starrte hinüber. Sie hätte sich denken können, dass Faunia zu Jagu lief und sich beschwerte. Bestimmt ließ Jagu das kalt... bestimmt... Bevor sie es recht merkte, schlich Mion schon auf die Tür zu. Sie hörte Faunia. Ihre Worte waren undeutlich. Mion blieb hinter dem Türflügel stehen und spähte hinein.
»... nichts zu bedeuten?« Faunia stand mit dem Rücken zu ihr. Jagu ging ins anliegende Zimmer und begann, Farben auf einer Holzpalette zu mischen. Die Pfeife klemmte ihm im Mund und verbarg sein Gesicht hinter waberndem Rauch. Eine Weile beobachtete Faunia ihn; dann trat sie langsam die Stufen empor und blieb an die Wand gelehnt stehen. Jagus Schatten streckte sich über ihr Gesicht.
»Früher hast du mich geliebt.«
Ein kalter Schauder lief Mion über den Rücken. Ungläubig starrte sie Jagu an, der Rauch ausatmete und seine Pfeife beiseitelegte. »Ich habe dich nie geliebt. Da habe ich dir keine Zweifel gelassen.«
Faunia drehte den Kopf zur Seite, als würde sie eine unangenehme Frage verneinen. Ihre Stimme wurde noch dünner als sonst. »Wieso sonst hättest du dieses elende Gossenkind hergebracht, wenn nicht, weil du dich von mir abgewandt hast? Du willst mich demütigen, verletzen, das sehe ich. Nun, es ist dir gelungen.«
»Sie nimmt deinen Platz ein, weil du alles ruiniert hast mit deiner dummen kleinen Affäre mit Raracul. Ich habe Wichtigeres zu tun, als dich zu verletzen, wie du weißt.«
Faunia schlug die Faust gegen die Wand und machte einen schnellen Schritt nach vorne. »Das war nur, um dich eifersüchtig zu machen!«
Ihrem Schrei folgte lähmende Stille. Die zwei standen sich gegenüber wie im Nebel eines Traums.
»Wie dumm du bist.« Er erwiderte es leise und mit Abscheu.
Faunia fuhr
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