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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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langsam herum und für einen Moment glichen ihre Bewegungen einem Tanz. Halb schwebend, halb taumelnd kam sie auf den Tisch zu, ergriff die Obstschale und schleuderte sie auf den Boden. Pinsel folgten, dann ein halb leeres Glas. Scherben sprangen über den Boden. Ein gebrochener, heiserer Laut entfuhr ihr, der nicht nach Schmerz klang oder Zorn, sondern Wahnsinn. Sie stürzte sich auf die Staffel und riss das unfertige Gemälde herunter.
    »Wer bezahlt dich, das zu malen?«, kreischte sie. »Niemand zahlt für diese Bilder! Für wen sind all die Bilder?«
    Sie wankte durch den Raum, hob eine Leinwand nach der anderen auf und schmetterte sie gegen die Wand. Es waren Porträts, noch schimmernd vor frischer Farbe.
    »Wer ist das? Wer bist du? Wer bist du ?« Als Faunia auf eines der Bilder treten wollte, riss Jagu sie zurück. Faunia wehrte sich nicht, sondern starrte in seine kalten Augen.
    »Du vergisst dich! Was muss ich noch tun, damit du mit dieser Gefühlsduselei aufhörst?« Er schüttelte sie grob, aber eine Antwort erhielt er dadurch nicht. »Den Arm würde ich dir brechen, wenn es nur einen Unterschied machte. Sieh mich an; das ist mein wahres Gesicht. Gefällt es dir immer noch?«
    Tränen fielen ihr aus den Augen. »Du bist ein Monster!«
    »Ja, das bin ich. Selbst als du mir noch nützlich warst, lag mir nichts an dir. Ich hätte dich mit einem Lächeln zum Henker geführt, wenn es mir dienlich gewesen wäre. Du kannst dich also glücklich schätzen, dass eine andere deinen Platz einnimmt.«
    Etwas Schweres, Unbeschreibliches regte sich in Mion.
    »Ich hasse dich...« Faunia wand sich in seinem Griff, doch sobald er sie losließ, sank sie schluchzend gegen ihn. Ihre Hände suchten Halt, klammerten sich an seine Schultern, seinen Kragen. Halb seufzend, halb knurrend stieß er sie fort. Sie stolperte und hörte auf zu weinen. Zitternd drehte sie sich weg, um ihr Gesicht zu trocknen, als schäme sie sich plötzlich.
    Jagu fuhr sich durchs Haar und stellte das unfertige Gemälde wieder auf die Staffel. Es fiel herunter, er versuchte, es aufzufangen, verschmierte die Farbe und fluchte laut. Als er merkte, dass Faunia ihn aus den Augenwinkeln beobachtete, stieg ihm Blut ins kreideweiße Gesicht. »Hau endlich ab!«
    Er schleuderte das Bild auf den Boden und eilte auf die Tür zu.
    Mion war wie gelähmt. Selbst wenn ihre Beine ihr gehorcht hätten und sie auf der Stelle losgerannt wäre, wäre es zu spät gewesen. Jagu schlug die Tür auf und starrte sie an.
    »Was...« Seine Stimme bebte. »Was hast du hier zu suchen?«
    Mion wollte eine Entschuldigung stammeln, aber ihre Lippen waren wie zugeklebt.
    »Verschwinde!«, brüllte er.
    Sie wirbelte herum und rannte davon. Seine Stimme blieb ihr in den Ohren wie Donner. Die Treppe flog unter ihr davon, der Salon, der Korridor, die Halle - sie wusste nicht, wohin, nur weg musste sie, weg für immer. Ehe sie einen klaren Gedanken fassen konnte, schlitterten ihre Füße über dünnes Eis, und auf ihren Wangen schmolzen Schneeflocken.

Flucht
    E r hatte die Schneeflocken entscheiden lassen. Die Knie angezogen, einen Arm weit ausgestreckt, saß er am offenen Fenster und zählte die winzigen Kristalle, die in seiner Handfläche landeten.
    Zweiunddreißig. Zweiunddreißig, und nun blies der Wind ihm kalt und leer ins Gesicht, der Schneefall hatte nachgelassen.
    Die erste Flocke sagte ihm, er solle bleiben. Die zweite, dass er gehen musste. Die letzte hatte seine Flucht besiegelt.
    Lyrian würde fliehen.
    Er schloss die Hand zur Faust und hauchte dagegen, um sie aufzuwärmen.
    Flucht. Nun hatte der namenlose Drang ein Wort gefunden.
    Er ging in sein Schlafgemach. Was würde er mitnehmen? Wie viel Essen brauchte man für einen Tag, für eine Woche? Und wie lange hielten Kleider, ehe sie schmutzig wurden und rissen? Er könnte alles mitnehmen, aber er wollte schließlich von allem davonlaufen. Proviant für eine Woche zögerte bloß seine Freiheit für eine Woche heraus.
    Freiheit... Wie beängstigend das sein konnte! Ob man ihm diese Angst beigebracht hatte wie so viele andere schlechte Dinge? Oder war sie etwas Natürliches, eine Hürde, die die Mutigen überwinden mussten, um Freiheit zu erlangen? Er wusste es nicht, aber woher auch immer die Angst kam, Lyrian würde sie besiegen.
    »Ihr wollt was ?«
    Baltibb ließ ihren Korb fallen und ein Dutzend Karotten kullerten über den Boden. Lyrian setzte seinen Fuß auf eine und rollte sie hin und her.
    »Ich wollte mich nur

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