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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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Jungen behalten würde. Natürlich war er Arahils Sohn, das war schwer zu übersehen, aber er hasste seinen Vater. Das genügte mir. Zudem war er wirklich ein herausragender Maler, und ich konnte ihn ganz nach meinem Willen formen, ohne mich mit den lästigen Jahren des Heranwachsens herumzuschlagen. Bei allen Drachen, es gibt nichts Schlimmeres als Kinder im Haus eines Künstlers! Wirklich, ich bin froh, keine Kinder zu haben. Ein Dutzend hätte ich haben können...«
    »Was wurde aus Jagus Vater?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Osiril nachdenklich. »Er hat sich immer mehr zurückgezogen und irgendwann verließ er sein Haus nicht mehr. Seinen Rang als Gildenmeister hatte er schon verloren, aber ich glaube, zu dem Zeitpunkt scherte ihn das wenig. Niemand hatte noch Kontakt zu ihm, keiner wusste, was er trieb. Das Malen hatte er aufgegeben, so viel stand fest. Er starb ganz plötzlich. Manche sagen, er litt an einer geheimnisvollen Krankheit. Andere behaupten, er war schlichtweg ein Säufer und ist die Treppe runtergestürzt. Wer weiß, was davon stimmt, vielleicht alles. Jedenfalls ist er gestorben und hat kein Testament hinterlassen, also fiel sein Besitz in Jagus Hände. Er war damals siebzehn - ich weiß noch, in dem Jahr, in dem Arahil starb, hatte Jagu seinen Durchbruch. All die großen Drachen wollten sich plötzlich von ihm porträtieren lassen. Er hat diesen jungen, energischen Stil und seine Porträts, sie sehen so voller Leben aus! Das hat er alles von mir, natürlich.«
    »Erst der Schliff bringt einen Diamanten zum Funkeln«, fiel Mion ein.
    Osiril nickte erfreut. »Jagu wollte natürlich hier in meinem Haus bleiben, wie es sich für einen Lehrling gehört. Das Haus seines Vaters ließ er zu einem Theater umbauen und seitdem finden dort Bühnenspiele statt.«
    »Warum ausgerechnet ein Theater?«
    Die alte Meisterin zuckte die Schultern und seufzte. »Wer weiß, wer weiß... so hat Jagu das eben beschlossen. Mach doch jetzt endlich den Kamin an, ich friere!«
     
    In den folgenden Tagen ertappte Mion sich dabei, wie sie zwischen ihrem Unterricht und ihren Besuchen bei Osiril vor dem Atelier herumschlich und darauf wartete, Jagu zu begegnen. Doch er hätte tot sein können, so zurückgezogen blieb er. Faunia war die Einzige, die das Atelier regelmäßig betrat und verließ. Offenbar hatten die beiden viel zu tun. Einmal kam ein Junge vorbei, der eine ganze Kiste voller bunter Pülverchen lieferte. Daraus mischte man wohl Ölfarben, dachte Mion, und ein Stich der Eifersucht durchfuhr sie, weil Faunia in die Geheimnisse des Ateliers eingeweiht war, während sie sich mit staubigen Büchern und Greisen herumschlagen musste. Sie wollte endlich etwas Richtiges lernen, schließlich war sie die Schülerin eines Künstlers und keines Bibliothekars!
    Dann, eines Abends, erschien Jagu überraschend zum Essen. Es war das vierte Mal in drei Wochen, dass sie zusammen speisten - wussten die Drachen, wann und wo er sonst aß -, und die Köchin schickte unauffällig Herone los, um das gute Silbergeschirr zu holen. Jagu bestand darauf, als Letzter bedient zu werden, aber trotz aller Gelassenheit wirkte er wie ein Gast in seinem eigenen Haus.
    Mion beobachtete ihn unentwegt aus den Augenwinkeln und stellte sich den Jungen vor, der er einmal gewesen war. Wie sie hatte er seine Familie und seine Heimat von einem Tag auf den anderen verloren. Ob er sich genauso verloren gefühlt hatte, wenn das Haus in tiefer Stille lag und es nichts zu tun gab? Ob er nachts in die Dunkelheit gestarrt und die Gesichter seiner Eltern hatte verblassen sehen? In welchem Zimmer er wohl geschlafen hatte?
    Jetzt verstand Mion die Sorgenfalten in seinem Gesicht. Wer mit vierzehn von seiner Mutter verlassen und seinem Vater verstoßen worden war, hatte bestimmt viel Kummer erlitten. Ganz zu schweigen davon, dass er unter der Aufsicht von Osiril aufgewachsen war - eine furchtbare Vorstellung!
    Und dann war er so einsam... Mion hatte nie erlebt, dass er irgendwelche Menschen einlud. Die meiste Zeit verbrachte er in seinem Atelier. Am liebsten hätte sie ihm gesagt, dass sie Bescheid wusste, und ihm mitfühlend auf die Schulter geklopft. Oder ihn umarmt.
    Mit kribbelnden Ohren widmete sie sich wieder ihrem Abendbrot. Jemand sollte sich um ihn kümmern... Wie verrückt, dass sie das in Bezug auf ihren Meister dachte. Eigentlich sollte es doch andersherum sein.
    »Ich habe große Fortschritte im Lesen gemacht«, sagte sie abrupt. Morizius sah sie tadelnd an,

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