Rabenmond - Der magische Bund
Toten zu.
»Was machst du da?«, fragte er mit belegter Stimme.
»Wenn sie schon tot sind, können wir auch ihre Sachen nehmen.« Sie warf sich einen Beutel über die Schulter, als sie sich der Räuberanführerin zuwandte. Sie drehte sie auf den Rücken - und stieß einen Schrei aus. Maraud war nicht tot.
Blut und Ruß bedeckten ihr Gesicht. In der Faust hielt sie ein Messer.
Mit letzter Kraft stach sie nach Baltibb.
Baltibb wich gerade rechtzeitig zurück, schwang den Krummsäbel und schlug wieder und wieder auf die Räuberin ein.
»Hör auf! Hör doch auf!«, brüllte Lyrian.
Erschrocken senkte Baltibb den Säbel. Sie keuchte vor Schreck und Anstrengung und blinzelte sich Blut von den Wimpern. Die Räuberin war längst tot.
»Keine Sorge«, stammelte sie. »Mir ist nichts passiert.«
Lyrian starrte sie an. Natürlich war ihr nichts passiert. Unsicher erwiderte sie seinen Blick, in der einen Hand den blutigen Krummsäbel, in der anderen den Geldbeutel, und doch waren ihre Augen so unschuldig wie Monds.
Er gab sich einen Ruck und wandte sich zum Gehen. Baltibb folgte ihm stumm.
Sie tasteten sich die Treppe hinauf, die sie zuvor hinabgestiegen waren, und stolperten in die klirrend kalte Nacht. Hunderttausend Sterne glitzerten über ihnen gleich gefrorenen Tränen.
Ein Herz
M ion starrte Jagu verwirrt an und fragte sich, ob er das, was er gesagt hatte, ernsthaft meinte. Leider sah es ganz danach aus.
Es gab Rebellen, die gegen die Herrschaft der Drachen waren, aber noch nie hatte sie etwas so Ungeheuerliches gehört wie das: dass Drachen Menschen waren. Genauso gut hätte er behaupten können, Menschen seien Auerochsen.
»Aber...« Sie schüttelte den Kopf.
Jagu drehte ungeduldig seine Pfeife in der Hand. »Was unterscheidet Menschen von Drachen, Mion? Dass Menschen Gefühle haben, Drachen aber Verstand. Sie sind vernünftige Wesen, wir emotionale. Sie haben eine Weitsicht, die der romantische Schleier unserer Gefühle uns verwehrt. Richtig?« Er beugte sich vor. »Wenn ich dir aber nun sage, dass ich die Drachen kenne... Sie haben Gefühle. Sie sind nicht vollkommener als wir. Die Ordnung unserer Welt basiert auf einer Lüge.«
Mion fühlte sich, als müsste sie aufspringen. Als müsste sie empört sein über... ja, was? Eine Beleidigung? Ihr war es doch egal, ob jemand die Drachen beschimpfte. Und doch war es ein großer Unterschied, sie zu beschimpfen oder etwas so Ungeheuerliches zu sagen, dass es die Welt infrage stellte.
»Ich weiß es«, wiederholte Jagu mit Nachdruck. »Ich kenne sie. Ich war auf ihren Festen. Ich war in ihrem Palast. Ich habe ihre Korpusse porträtiert, aber auch hier konnte ich mir ein Bild von ihnen machen.« Er tippte sich an die Schläfe. »Sie halten sich in ihrem Palast versteckt, weil sie dort ein Leben der Verschwendung und Dekadenz führen. Dem Volk zeigen sie nur Gemälde und Statuen von sich, denn wenn die Menschen sie sähen, würden sie ihre wahre Natur erkennen.«
»Aber sie verwandeln sich in Tiere!«, wandte Mion ein. »Das kannst du wohl nicht bestreiten. Ich habe noch nie von einem Mensch gehört, der zu einem geflügelten Löwen wurde.«
Jagu sah sie mit einem so unheimlichen Blick an, dass sie schauderte. »Doch, das hast du. Das sind die Drachen - nichts anderes: Menschen, die sich in Ungeheuer verwandeln können.«
Mion breitete die Arme aus und verschränkte sie unschlüssig wieder. »Wieso, bitte schön, können wir es dann nicht?«
»Das ist ihr Geheimnis. Die Drachen hüten es streng. Aber ich werde es herausfinden.« Jagu sagte es so beiläufig, dass Mion kurz dachte, er sei nicht mehr ganz bei Trost. Vielleicht war er verrückt geworden, vielleicht hatte er zu lange die giftigen Ölfarben eingeatmet.
»Also schön. Du sagst, die Drachen sind in Wahrheit nur Menschen...« Es auszusprechen, war so absurd, dass Mion gegen ihren Willen grinsen musste. Ihr war dabei todernst zumute. »Und du willst herausfinden, wie sie die Gestalt von Tieren annehmen. Also du willst... ein Drache werden.«
Jagu zündete seine Pfeife neu an und lehnte sich rauchend im Sessel zurück. »Andere haben es schon vor mir getan. Einigen Drachen, die im Palast herrschen, hat man das Geheimnis erst später verraten.«
»Warum?«
Er zuckte die Achseln. »Geliebte.«
Auch das sagte er so nebenbei, als hätte er eine Bemerkung über das Wetter gemacht.
»Drachen haben keine Geliebte! Wie sollten sie...«
»Sie haben Nachkommen, oder?«
Mion wurde rot. In den Ruinen
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