Rabenmond - Der magische Bund
musste.
Beißende Hitze schwappte über ihn. In einer endlosen Wüste der Zerstörung schimmerten Gerüste von Hütten und Dörfern skeletthaft aus den Flammen. Rauch hing am Horizont wie verwischte Tränen.
Plötzlich erklang ein boshaftes, schrilles Zischen. Ehe er begriff, was geschah, hagelte es Pfeile um ihn. Brennende Stiche durchfuhren seine Flügel, seine Brust, seine Kehle. Gerade gelang es ihm noch, den sterbenden Fuchskorpus zu entlassen und die beiden unverletzten Schwalben aufzurufen. Panisch schlug er mit den Flügeln. Wenn er jetzt getroffen wurde, war er verloren. Er hatte noch einen Fuchskorpus, aber der war von ihrer Begegnung mit den Ruinenräubern schwer verletzt. Wenn er die Schwalben verlor, hatte er nur noch die Otter, und mit denen war er hilflos, wenn er in die Schlacht abstürzte.
Neue Pfeile zischten durch die Rauchschwaden. Rings um ihn keiften Schlangen. Darauden fielen überall aus dem Himmel, nur um im letzten Moment neue, unversehrte Korpusse aufzurufen. Manche waren bereits so oft getötet worden, dass ihnen nur noch eine Rabengestalt blieb.
Lyrian gab all seine Kräfte, um höher zu steigen, wo die Pfeile ihn nicht erreichen konnten. In dem Moment traf ihn eine neue Salve. Die Schwalbe stieß ein Kreischen aus, als die Geschosse sie durchbohrten. Der Schmerz war unerträglich. Die Welt verwischte. Er stürzte und fühlte nicht einmal, wie die sterbende Schwalbe fortschmolz und ihn in seiner verletzlichen Menschengestalt zurückließ.
Sekundenlang fiel er.
Der Wind brüllte. Ein ohrenbetäubendes Rauschen. Feste Klauen packten ihn, rissen ihn aus der geöffneten Hand des Todes.
Lyrian hatte nicht die Kraft, zu seinem Retter aufzusehen. Das Nächste, was er wahrnahm, war, wie die Klauen zu gebrechlichen Menschenarmen schmolzen und ihn in weiches Gras sinken ließen.
Nach Luft ringend, stützte er sich auf. Alles tat ihm weh, und auch wenn die Verletzungen der Korpusse nichts mehr mit ihm zu tun hatten, war der Geschmack des Schmerzes noch allzu deutlich. Als er seinen Körper betastete, merkte er, dass er doch verletzt war: Die Klauen seines Retters hatten sich in seine Rippen gebohrt. Blutige Flecken bildeten sich auf dem Hemd.
»Lyrian!« Einen Moment wusste er nicht, woher er die tiefe Stimme kannte. Ein Luchs mit angelegten Adlerschwingen stand ihm gegenüber. Das Gesicht jedoch gehörte einem Mann. Dem Kaiser.
»Vater«, stammelte Lyrian verblüfft.
Der Luchs richtete sich zu voller Größe auf. »Wieso bist du hier?«
Vater und Sohn
D er Kaiser befahl ihm, seine verbliebene Ottergestalt anzunehmen. Dann führte er ihn ins Lager, das im Schutz der nördlichen Hügel aufgeschlagen worden war. Bewacht von zwei Sphinxrudeln und drei Darauden, lag das kaiserliche Zelt im Zentrum des Lagers. Lyrian musste sich in seine verletzten Korpusse verwandeln und wurde verarztet. Dabei taten die Priester ihr Bestes, um die Schmerzen von ihm fernzuhalten.
Während der Operationen musste er an die brennenden Dörfer denken. Was er nicht gesehen hatte, zeigte ihm seine Vorstellungskraft. Brennende Häuser… brennende Menschen... Dabei fragte er sich, ob ihn die Sache an sich entsetzte oder vielleicht nur die Sinnlosigkeit, die er darin erkannte. Die furchtbare, unerträgliche Sinnlosigkeit all dieses Leidens.
»Die Verletzungen des Fuchses sind alt«, raunte einer der Leibärzte dem Kaiser zu. »Sie haben sich entzündet... wer weiß, ob der Fuchs je wieder kampftauglich sein wird. Von den Schwalben ist ein Korpus verloren, die anderen sind verwundet.«
Der Kaiser sagte nichts, denn er trug wieder seine Luchsgestalt. Als die Behandlung beendet war, traten die Heiler zurück und Lyrian wurde zum Jungen. Sein erster Gedanke galt Baltibb.
»Irgendwo hinter dem Lager ist ein Mädchen mit einem Hund. Sie haben mich bis hierher begleitet, ihnen soll nichts geschehen.«
Der Luchs neigte den Kopf und warf den drei Darauden, die am Eingang des Zelts Wache hielten, einen Blick zu. Die Darauden verstanden und zogen sich zurück.
Das Luchsmaul verzerrte sich zu einem menschlichen Mund. »Zeige dich niemals in deiner natürlichen Gestalt, wenn Untergebene anwesend sind«, knurrte die Stimme des Kaisers. »Schon gar nicht vor Darauden. - Folge mir. In Ottergestalt!«
Lyrian gehorchte und begleitete den Kaiser aus dem Zelt.
Ohne ein Wort führte der Kaiser ihn durch das Lager, bis sie einen Hügel erreichten. Der Wind trieb silbrige Wellen durch das Gras und ließ die wilden Frühlingsblumen
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