Rabenmond - Der magische Bund
Fluten ragte. Im Sonnenlicht glänzte es hell.
»Mond! Was hast du da?« Baltibb lief auf ihn zu und blieb abrupt stehen. Automatisch zog sie ihren Krummsäbel. Lyrian schnappte erschrocken nach Luft: Im Uferschlamm lag ein Mensch.
Bläuliche Finger hatten sich ins Schilf gegraben. Auf dem Kopf saß ein schiefer Helm und unter Wasser schimmerte eine grüne Uniform. Dort, wo das Gesicht lag, schwärzte getrocknetes Blut das Gras. Der Mann musste schon länger tot sein.
»Lyrian!« Baltibb wies den Fluss hinab. Kaum einen Steinwurf entfernt lag ein weiterer Krieger. Tiefe Wunden bedeckten seinen Rücken, von dem das Wams in Fetzen hing. Stockend kam Lyrian näher. Eine riesige Pranke musste die Wunden gerissen haben... Langsam ließ er den Blick die Ufer entlangwandern. Überall lagen Leichen.
Wie im Traum schritten sie über das Schlachtfeld. Umgeknickte Fahnen hingen ins Wasser. Waffen steckten im Gras. Lyrian erkannte auf den Uniformen der Männer das Wappen der Geschwisterstaaten wieder: zwei Tauben, die um eine geöffnete Hand kreisen. Modos und Ghoroma hatten hier gekämpft, vermutlich gegen die Legionen von Wynter. Tatsächlich entdeckten sie hier und da einen Fußsoldaten, dessen steife Faust noch die weiße Flagge mit dem geflügelten Löwen umklammerte.
»Wir müssen an der Grenze von Kossum sein«, murmelte Lyrian.
»Kossum?«, echote Baltibb. »Ich dachte, wir kommen durch Libéa.«
»Wir müssen im Mitternachtsgebirge weiter nach Süden abgekommen sein. Kossum ist das größte Land des Kontinents, es liegt zwischen unseren Provinzen und den Geschwisterstaaten. Es ist ein einziges Schlachtfeld.«
»Sieht man«, murmelte Baltibb. Sogar der Wind, der durch die Wiesen strich, roch nach Fäulnis und Tod.
Im Vorbeigehen bemerkte Lyrian, dass viele Krieger von Drachen umgebracht worden sein mussten. Die Abdrücke mächtiger Wolfsgebisse prangten in nackten Schultern. Bärenpranken hatten andere niedergestreckt. Und überall waren die Spuren von Sphinxen.
»Was tust du?«, fragte Lyrian, als Baltibb sich neben einen Toten kniete und ihm ein Bündel vom Rücken zerrte. Sie schlug das Tuch auf, fand mehrere Stücke rundes Trockenbrot und schnupperte daran. »Ich glaube, es ist noch gut.« Sie biss hinein. »Wartet, ich durchsuche noch die anderen Soldaten.«
Angewidert machte Lyrian einen Schritt zurück. »Wie kannst du das essen?«
»Die brauchen es nicht mehr.« Unsicher wickelte Baltibb das Brot ein.
»Drachen haben diese Männer umgebracht! Wenn wir das Brot nehmen, ist es, als hätten wir sie getötet.« Er glaubte zu sehen, wie Baltibb die Augen verdrehte, als sie sich umwandte, aber sie widersprach nicht. Wortlos ließ sie das Bündel auf den Toten fallen.
In diesem Augenblick rollte ein tiefer Donner aus der Ferne heran. Die Erde erzitterte.
»Was ist das?«
»Bleib hier.« Lyrian rannte los und verwandelte sich in den Fuchs. Mit den geschärften Tiersinnen vernahm er die Kriegshörner noch deutlicher - wie ein unsichtbarer Strom wogten sie aus südwestlicher Richtung heran. Nun hörte er auch Waffenklirren und Stimmen. Und er roch Blut. Er rief die Schwalbenflügel auf und erhob sich in die Luft. Das Land riss unter ihm fort und wurde zu einer weiten Karte aus Wiesen und Berggipfeln. Unter sich konnte er Baltibb und Mond ausmachen, die nicht geblieben waren, wo er sie verlassen hatte, sondern hinter ihm herrannten. Ein, zwei Meilen vor ihnen, verborgen hinter sanften Hügeln, wütete eine gigantische Schlacht.
Bunte Fahnen wehten im Gewimmel der kämpfenden Menschen. Aber nicht nur Menschen waren auf dem Schlachtfeld... ganze Legionen von Sphinxen rissen Feinde. In ihrer Mitte kämpften Drachen in Gestalt von geflügelten Panthern, Riesenpferden mit Schlangenschädeln und weißen Stieren. In der Luft kreisten Scharen von Darauden: schwarze Schlangen mit Flügeln und Rabenklauen. Sie waren die meistgefürchteten Krieger von Wynter, mächtiger und in ihrer Zahl geringer als die Sphinxe. Eine Legende besagte, die Darauden hätten einst versucht, die Herrschaft den Drachen zu entreißen, woraufhin der damalige Kaiser ihre Adlerkorpusse gegen die von Raben austauschte. Dennoch waren sie Ungeheuer, die nur von Drachen besiegt werden konnten.
Immer wieder schossen die Darauden nieder, rissen einen Mann aus dem Gefecht und ließen ihn aus hundert Metern Höhe tot oder lebendig wieder fallen. Lyrian wichen sie ehrfürchtig aus, obgleich seine wenig kriegstaugliche Gestalt sie verwundern
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