Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
Vom Netzwerk:
in der kühlen Maibrise und Rapsfelder bedeckten die Welt wie ein Goldteppich. In der Ferne leuchteten die Gebirge, die die Grenze zu den nördlichen Eiswüsten markierten, in tiefem Blau. Fort waren die blinden Winternebel, fort das ewige Grau und Weiß - die Welt strahlte, und sie würde noch für drei Monate strahlen, ehe Frost und Kälte Wynter zurückeroberten.
    Das letzte Stück vom Waldrand bis zur Großen Brücke des Palasts ritten Lyrian und Baltibb auf Darauden, da man die Brücke nur fliegend erreichte. Es gab einen langen, schwer bewachten Fußpfad für Sphinxe und menschliche Palastbesucher, doch Lyrian veranlasste, dass Baltibb an seiner Seite blieb. Auch Mond durfte den Luftweg nehmen, was er kein bisschen zu schätzen wusste: Erst mit Gewalt gelang es Baltibb, ihn auf den Rücken des Darauden zu bringen. Inzwischen war Mond fast ausgewachsen, und Baltibb hatte Schwierigkeiten, ihn zu beschwichtigen.
    Der Flug war eine Tortur. Baltibb konnte Höhen nicht leiden, vor allem wenn sie auf dem Rücken eines schlangenköpfigen Ungeheuers saß und einen nervösen Jagdhund umklammerte. Die Stadt wischte unter ihnen davon, kaum mehr als ein undeutliches Labyrinth. Majestätisch ragten die Türme des Palasts vor ihnen auf, wie aus Wolken und Elfenbein geschmiedet.
    Die Darauden und Drachen landeten auf der Großen Brücke. Mit weichen Knien stieg Baltibb ab und hielt Mond im Nacken fest; er knurrte schon die ganze Zeit, und die Daraude schien nur auf einen Grund zu warten, ihn mit einem schnellen Biss zu erledigen.
    Die Prozession schritt die Brücke entlang. Tiefe, alles erschütternde Hörner erklangen, als grollten die Türme ihr Willkommen. Mit gerunzelter Stirn blickte Baltibb den weißen Steinriesen entgegen. Es war ihre Heimat, aber gleichzeitig wusste sie, dass sie keinen Anspruch darauf hatte. Sie war ein Gast, nein, eher ein Eindringling in dieser erhabenen Welt; ein Leben lang mit strengem Blick geduldet, aber nicht berechtigt, es ihr Zuhause zu nennen. Sie schielte zu Lyrian hinüber, der seine Ottergestalt trug. Wie es sich wohl anfühlte, zu wissen, dass man Herr der Türme war? Dass sie nur existierten, weil man selbst existierte? Es war ein zu großer Gedanke für Baltibb.
    Im Näherkommen bemerkte sie eine gigantische Inschrift, die über dem Portal schwebte, als hätte der Schlund einen Befehl in den Stein gehaucht. Sie hätte gerne gewusst, was dort stand, aber sie konnte natürlich nicht lesen. Vielleicht, wenn sie alleine waren, würde sie Lyrian fragen... doch im Grunde ahnte sie, dass sie sich eine Weile nicht sehen würden. Bestimmt hatte Lyrian nach ihrem klammheimlichen Verschwinden einiges zu erklären. Ganz zu schweigen davon, was Baltibb bevorstand... Sie holte tief Luft, als der Schatten des Portals über sie glitt, und dann war sie zu Hause - oder zumindest da, wo sie hingehörte.
     
    Er sagte gar nichts und vielleicht war das am allerschlimmsten.
    Er öffnete die Tür, starrte sie an, ging zurück in die Stube, setzte sich und nahm den Löffel wieder in die Hand.
    Unsicher blieb Baltibb im Eingang stehen, machte die Tür aber hinter sich zu. Ihr Vater saß reglos am Tisch und blickte seine halb leere Schüssel an, ohne weiterzuessen. Eine Minute verstrich in Stille.
    »Ich hatte keine Wahl.« Wie fremd klang ihre Stimme in der kleinen Stube! Ihr war, als würde sie jemand anderen sprechen hören. Auch ihr Vater blinzelte, als wisse er nicht genau, ob da jemand mit ihm redete. »Der Prinz wollte, dass ich ihn begleite. Was hätte ich tun sollen?« Sie räusperte sich leise und kraulte Mond, der neben ihr saß und erleichtert war, dass keine Darauden, Sphinxe oder Drachen in der Nähe waren.
    Endlich murmelte ihr Vater: »Setz dich.«
    Baltibb gehorchte, Mond trottete hinter ihr her. Durch die Bullaugenfenster drang Licht und umrahmte das Profil ihres Vaters.
    »Sie haben nach ihm gesucht, dem Prinzen«, begann er langsam. Die Worte kamen schwer und brockenhaft. »Ich musste dein Verschwinden melden. Sie werden...« Er biss die Zähne zusammen, ließ den Löffel fallen und hielt sich die Faust vor den Mund. Baltibb berührte seinen Arm, doch ihr Vater schüttelte sie ab und gab ihr eine schallende Ohrfeige.
    Einen Moment drehte sich alles. Ihre linke Gesichtshälfte fühlte sich wie gespanntes Papier und weit entfernt vernahm sie Monds Bellen.
    »Sie werden dich holen kommen, sie bringen dich um für diese Torheit, du wirst sehen, du wirst sehen!« Obwohl er brüllte, übertönte

Weitere Kostenlose Bücher