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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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auch die menschlichen Krieger in die Schlacht geschickt, sonst erfüllten sie die unwürdige Aufgabe, sich um die Flüchtlinge und andere Menschen zu kümmern.
    Das feindliche Heer, das Baltibb aus der Entfernung noch so bedrohlich erschienen war, hielt den Mächten Wynters nicht lange stand. Am Abend waren die Krieger von Modos besiegt, ohne dass ein Drache mitkämpfen musste. Dennoch stärkten die Herrscher ihre Korpusse wie die Sphinxe und Darauden, indem sie die Toten des Schlachtfelds verschlangen. Manche Kämpfer hatten in der Schlacht aber auch all ihre Tierkörper verloren und huschten verletzlich durch das Lager: Die Sphinxe trugen gelbe Umhänge, die Darauden schwarze, die so lang waren, dass sie ihre menschliche Gestalt ganz verhüllten. Nur die Schwerter ragten hervor, die sie in Angst um ihr letztes, kostbarstes Leben stets griffbereit hatten.
    Einmal glaubte Baltibb, eine weibliche Daraude zu erkennen. Nur ein paar schwarze Haarstoppeln ragten unter der Kapuze hervor, doch Kinn und Mund haftete etwas Weibliches an. Zum ersten Mal dachte Baltibb bewusst über Sphinxe und Darauden nach. Offenbar hatten sie ähnliche Zauberkräfte wie die Drachen, aber nicht den Verstand, um frei darüber verfügen zu dürfen. Es mussten Wesen zwischen Mensch und Drache sein, den einen überlegen und den anderen untertänig, eine monsterhafte Zwischenstufe, die sich hervorragend für den Krieg eignete. Ob sie Familien hatten?
    Nach der Begegnung mit dem feindlichen Heer stießen sie auf weitere verbrannte und geplünderte Städte, nahmen noch mehr Flüchtlinge auf, besiegten kleinere Truppen und brachten Ruinenräuber zur Strecke, die in großen Karawanen durch Kossum zogen und Sklaven und Kriegsbeute sammelten. Lyrian sprach kaum noch mit Baltibb. Tagsüber trug er die Gestalt des Otters, nachts durchlebte er unruhige Träume oder strich durch die langen Zeltreihen. Manchmal schlich sie ihm nach und sah, wie er die Menschen beobachtete. Immer wieder ging er durch die Lager der Flüchtlinge, die ihn in der Dunkelheit für einen von ihnen hielten. Aber auch mit ihnen sprach er nicht.
    Eines Nachts merkte er, dass Baltibb ihm folgte. Beschämt blieb sie stehen und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Er kam auf sie zu, weder überrascht noch vorwurfsvoll, und im matten Schein einer Fackel wirkte er plötzlich gar nicht mehr wie ein Junge, sondern wie ein erwachsener Mann. In den goldenen, einstmals verträumten Augen lag so unerschütterliches Verständnis, als sei er mit dem Aufblühen des Frühlings weise geworden, unbemerkt und plötzlich wie über Nacht.
    »Du musst dir keine Sorgen um mich machen, Tibb. Zu viele Sorgen... Immerzu machen die Menschen sich Sorgen. Sie denken mehr, als ihr Herz verträgt. Gefühle und Gedanken, das ist eine schlimme, leidvolle Mischung. Könnten sie die Gedanken doch ganz uns Drachen überlassen.«
    »Aber ich muss mir Sorgen um Euch machen. Und ich will«, flüsterte Baltibb kaum hörbar. Er sah sie an, und sie kannte sein Gesicht gut genug, um darin trotz aller Reglosigkeit Mitleid und Schmerz zu lesen. Ihre Brust kribbelte, denn egal, was in ihm vorging, es hatte mir ihr zu tun. Die Vorstellung, sie könne in seinen Gedanken leben wie er in ihrem Herzen, war mehr, als sie zu hoffen wagte.
    »Bald kehren wir heim«, sagte er, seine Stimme schwebte geisterhaft über dem Schweigen der Nacht. Im ersten Moment war Baltibb von Erleichterung erfüllt, im nächsten war sie beunruhigt.
    »Nach Wynter? Was ist mit Whalentida?«
    Er schüttelte den Kopf. »Wegen mir bist du so weit gereist, ohne irgendwo anzukommen. Für dich sieht das Ganze völlig kopflos aus, aber glaube mir: Ich bin im Inneren weiter gekommen, als irgendein Schiff aus Whalentida mich je bringen könnte. Nur musste ich diese Reise alleine antreten, ja ich könnte dir nicht einmal davon erzählen. Es gibt keine Worte dafür. Du musst das nicht verstehen.«
    Nun war es an Baltibb, den Kopf zu schütteln. Viel hätte sie ihm sagen können - dass nicht nur er, sondern auch sie weiter gekommen war, als ihre Füße sie getragen hatten; dass es die schönste, glücklichste Zeit in ihrem Leben gewesen war und sie für den Rest ihrer Tage mit ihm durch die Welt ziehen wollte, egal wohin, ob durch Gebirge, Eiswüsten oder brennende Steppen. Aber Baltibb sprach nichts davon aus, denn auch für diese Dinge gab es keine Worte.
     
    Als sie nach Wynter zurückkehrten, empfing das Land sie mit bunten Bannern: Wiesen wogten leuchtend grün

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