Rabenmond - Der magische Bund
hässlich«, unterbrach ihn die Kaiserin. Verwirrt sah Lyrian sie an und versuchte zu begreifen, warum ihr bei allen Dingen ausgerechnet das eingefallen war.
Die Kaiserin trat noch näher an ihn heran. Er konnte die Fältchen um ihre Augen zählen, doch ihr Blick blieb so fern und unergründlich wie die Sterne am Himmel.
»Wollt Ihr nicht wissen, warum ich weggegangen bin?«, fragte Lyrian trocken. »Immer meint Ihr, alles über mich zu wissen, obwohl Ihr kein einziges Mal -«
»Du wirst sie nicht wiedersehen«, schnitt sie ihm ruhig das Wort ab. »Wenn doch, werde ich sie töten.« Amselfedern sprossen an ihren Schläfen und ihrem Hals. Die Kälte eines Raubtiers verfinsterte ihre Augen, doch noch war sie seine Mutter. Mit leisem Kleiderrauschen verließ sie das Gemach.
Die Gilden
A m Morgen nach der Theaternacht wachte Mion zum ersten Mal in ihrem Bett auf und hatte das Gefühl, dass es wirklich ihr Bett war. Als hätte der vergangene Abend ihr neues Leben eingeweiht, fühlte sie sich wie ein echter Lehrling. Egal, was manche Gildenmitglieder von ihr hielten - solange Jagu an sie glaubte, konnte sie alles erreichen und alles werden.
Dieses Gefühl wurde in den folgenden Tagen bestärkt, indem gleich ein Dutzend Einladungen eintrafen: Sie wurden zu Banketten, Gildentreffen und Bühnenspielen gebeten - nicht zu vergessen die Tee- und Trüffelrunde im engen Freundeskreis, die die alte Tandarespielerin Halimo geben wollte. In ihrer Einladung wurde Mion namentlich erwähnt.
»Bilde dir bloß nichts darauf ein«, sagte Faunia trocken, als sie endlich wieder zum Frühstück erschien. Bis jetzt hatte sie sich beharrlich in ihrem Zimmer eingeschlossen und nur nachts ihrem Hunger nachgegeben, weshalb heute Morgen die Kirschmarmelade leer war. »Im Frühjahr ist Festsaison. Selbst Leute wie Halimo bekommen Einladungen.«
Mion wandte sich an Jagu. »Ist das wahr?«
Er zuckte mit den Schultern und schluckte einen Bissen Brot hinunter. »Der Sommer ist die Zeit der großen Unterhaltung im Palast. Und bevor wir vor die Drachen treten, tauschen die Gilden sich untereinander aus. Jeder will wissen, wer welche Aufträge an Land gezogen hat und wer der neue Liebling der Drachen wird. Es ist ein Zirkus...«
Und zwar ein sehr unterhaltsamer, wie Mion bald feststellte. Nur eine Woche nach der Theaternacht besuchte sie mit Jagu und Faunia ein kleines Konzert beim Meister der Musikgilde. Das umfangreiche Stück, von einem zwölfköpfigen Orchester umgesetzt, war vom ältesten Sohn des Gildenmeisters komponiert worden und sollte noch im selben Monat im Palast aufgeführt werden. Der Gedanke daran, dass sie Musik hörte, die bald die Drachen hören würden, verursachte ein heißes Kribbeln in Mions Magen. Nie war sie dem Hohen Volk so nahe gewesen. Außer natürlich - als sie einen von ihnen erschossen hatte.
Die Erinnerung daran erschien geradezu absurd, so wie fast alles, was zu ihrem alten Leben gehörte.
Nur wenige Tage später gingen sie zu einem Bankett für Mitglieder der Malergilde. Mion fiel auf, dass Faunia nicht gerade beliebt war. Während des Banketts öffnete sie nur zum Essen den Mund. Die Frauen beäugten sie mit einer Mischung aus Verachtung und Neid, während die Männer sie entweder anstarrten oder gänzlich ignorierten.
Mion bemühte sich, den Gesprächen zu folgen und gerade so viel beizusteuern, dass sie auffiel, ohne vorlaut zu wirken. Sie prägte sich die Namen der Maler ein und machte sich in Gedanken zu jedem einen kleinen Steckbrief: Der untersetzte Meister Urbain fand, nicht die Größe eines Porträts sage etwas über die Bedeutung eines Drachen aus, sondern die Detailarbeit an Kleidung und Korpus; Meisterin Anathelbis mit der wirren Lockenmähne war überzeugt, die Schönheit eines Bildes hänge allein von einer speziellen Kombination der Elementarfarben ab; und der hagere Malermeister Eurifad roch meterweit nach Ölfarben und Zypressenparfüm, das den Farbgeruch offenbar übertünchen sollte, tatsächlich aber unterstrich.
Als die Hausdiener den Nachtisch servierten - die köstlichsten gebackenen Pflaumen mit Sahne, die Mion je gegessen hatte -, fragte ein älterer, freundlicher Maler namens Hekilon sie unerwartet: »Nun, Ihr entstammt keiner Gildenfamilie, woher kommt Ihr also?«
Mion hatte sofort ein Dutzend Lügen parat. Doch sie bewahrte Schweigen, bis Jagu sich den Mund an der Serviette abtupfte.
»Ich habe Mion durch einen erstaunlichen Zufall entdeckt«, sagte er heiter. »Gewiss
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