Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)
lieber hoffnungslos verliebt statt jemanden zu heiraten, der nett war. Doch Elsa hatte keine Zeit, Amandis bezüglich dieser Angelegenheit auszufragen. Was sie jetzt brauchte, war das versprochene Bad und neue Kleidung, in der sie ansehnlich aussah.
„ Du kannst sicher nicht lange bleiben?“, fragte Amandis, als sie die Schreibstube verließen und den Weg zu ihren Räumen einschlugen.
„ Nein, das wäre unvernünftig. Aber einen Tag werde ich schon noch hier sein. Die Hochzeit ist übermorgen?“
„ Ja, genau. Ich hoffe, Anbar ist bis dahin zurück. Ich habe ja keinen Vater mehr und er hat mir versprochen, ihn zu vertreten.“
„ Warum lebt er eigentlich noch?“, fragte Elsa, während sie ein enges Treppenhaus emporstiegen, das gar nicht königlich aussah. „Ich dachte, ich hätte ihn umgebracht.“
„ Nein, so schlimm war es nicht.“ Amandis blieb auf einer Stufe stehen und wandte sich nach Elsa um. „Du hast ihn nur umgehauen, ziemlich kräftig sogar. Dabei musst du sehr merkwürdig ausgesehen haben, jedenfalls nicht wie ein Mensch. Er hat immer noch eine Wunde am Hinterkopf, hast du das gesehen? Er war ziemlich angeschlagen die Wochen danach. Er bekam immer wieder Kopfschmerzen und ihm war schwindelig. So etwas ist ihm bestimmt noch nie passiert.“
„ Jetzt geht es ihm wieder gut?“
„ Ja, mach dir keine Sorgen deswegen“, sagte Amandis und setzte ihren Weg fort.
Elsa hatte nicht vorgehabt, sich deswegen Sorgen zu machen. Das war vermutlich nicht besonders nett, aber sie machte sich recht große Sorgen um sich selbst und das verdrängte alles andere. Das einzige, was sie nun brauchte und interessierte, war das Buch. Aber wo war es? In der Wohnung in Brisa, wo sie es vergessen hatte, war es nicht mehr. Hatte Romer das Buch zurück zum König gebracht? War es vielleicht doch noch hier?
„ Kennst du einen Romer?“, fragte Elsa.
Sie hatten das Treppenhaus verlassen und schritten nun über einen Flur, dessen Wände mit prächtigen Teppichen geschmückt waren, auf denen glorreiche und blutige Schlachten stattfanden. Die Teppiche waren allerdings schon so alt, dass das Blut pastellfarben geworden war und die Krieger blassere Gesichter hatten, als es ursprünglich beabsichtigt gewesen sein mochte.
„ Meinst du Romer Antagas?“, antwortete Amandis. „Er ist ein Freund von Anbar und möchte mich schon lange kennenlernen. Er hat mir sogar einen Brief geschrieben.“
„ Einen Brief? Obwohl er dich nicht kennt?“
„ Er glaubt mich zu kennen. Außerdem hat er ja dich kennengelernt, als du wie ich ausgesehen hast.“
„ Was stand in dem Brief?“
„ Es war nur ein Gedicht. Ein Gedicht, bei dem er an mich denken musste, als er es gelesen hat. Er konnte nicht anders als es abzuschreiben und in einen Brief zu stecken und Anbar diesen zu geben, damit er ihn mir aushändigt.“
Amandis’ Gesicht strahlte, als sie es erzählte.
„ Wenn dir das so gut gefällt, warum heiratest du dann Nada?“
„ Ach“, sagte Amandis und wedelte mit der Hand in der Luft herum, als hielte sie den Brief mitsamt Gedicht darin und sei jederzeit bereit, ihn in eine unwichtige Ecke zu pfeffern. „Ich hab mich doch nur geschmeichelt gefühlt. Ich kenne den Mann überhaupt nicht! Es war eine so überraschende und freundliche Geste, die mir Freude gemacht hat. Wie ist er denn so?“
Elsa nannte die drei Dinge, die ihr auf Anhieb einfielen:
„ Er sieht gut aus, gibt sich gerne verwegen und wird ganz weinerlich, wenn er über seine antolianische Herkunft spricht. Er hat die längste Zeit seines Lebens nicht gewusst, dass er ein Antolianer ist und es viele verschiedene Welten gibt.“
„ Das muss sehr hart sein“, sagte Amandis mitfühlend.
„ Außerdem nehmen ihn die Antolianer nicht ernst.“
„ So wie mich die Möwen nicht ernst nehmen!“
„ Weißt du, wo er jetzt ist?“, fragte Elsa.
Amandis schüttelte ihren hübschen Kopf.
„ Ich habe keine Ahnung. Aber Anbar weiß es bestimmt, du kannst ihn ja fragen, wenn er wieder da ist.“
Elsa konnte sich etwas Schöneres vorstellen. Ihr musste ein anderer Weg einfallen, es herauszubekommen. In diesem Moment ging eine sehr große Flügeltür auf und eine Gruppe von Personen trat auf den Flur, mitten unter ihnen der König. Er war nicht weniger groß, breit und rot gelockt, als ihn Elsa in Erinnerung hatte. Um all sein Gewicht fortzubewegen, musste er etwas schnaufen, zumal er prächtige Gewänder trug, die für diese Jahreszeit viel zu warm waren. In der
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