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Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Titel: Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
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Vermögen an Schulgeld, und es hat noch niemandem geschadet, etwas Vernünftiges zu lernen. Amandis wird nicht in die Politik einsteigen, da wäre es mir lieb, wenn sie es in den Wissenschaften beschlagen wäre. Hast du wenigstens ein Zeugnis?“
    Elsa schüttelte den Kopf. Es fiel ihr nicht schwer, schuldbewusst und kleinlaut zu wirken.
    „ Wo ist dein Gepäck?“
    Elsa wurde heiß und kalt. Sie hatte kein Gepäck.
    „ Ich bin ohne gereist. Ich lasse es mir nachschicken.“
    „ Ach, mit den Schuluniformen kannst du hier sowieso nichts anfangen“, sagte Sistra und ihre Stimme klang milder als zuvor. „Was ist, Leimsel, bleibst du auf ein Gläschen Zimps-Punsch?“
    „ Gerade nicht. Aber morgen komme ich gerne vorbei, wenn es euch recht ist. Ich muss noch nach Antolia.“
    Sistra nickte verständnisvoll. Was und wo auch immer Antolia war, der Weg dorthin nahm bestimmt den restlichen Nachmittag in Anspruch, so sah es aus. Leimsel verabschiedete sich wenig förmlich und ließ Elsa mit Sistra allein.
    „ Komm, Kleines, du bist sicher hungrig.“
    Das konnte Elsa nun nicht finden, die Aufregung raubte ihr jeden Appetit. Dennoch folgte sie ihrer großen Schwester durch einen dunklen Gang in einen wunderbaren, geräumigen Salon. Nach allen Seiten hin hatte er Fenster, die in den Garten zeigten. Es gab viel zu sehen an Möbeln, Gemälden, Leuchtern, Teppichen – alles beeindruckend wohlgeformt und von seltener Schönheit. Doch Elsas Blick blieb sofort an dem Käfig hängen, der mitten auf dem Esstisch stand. Darin saß ein Rabe mit trüben Augen und starrem Blick. Elsa konnte diese Grausamkeit kaum fassen, denn in Istland sperrte man keine Vögel ein. Niemand wäre auf die Idee gekommen, ein Geschöpf mit Flügeln am Fliegen zu hindern. Sistra bemerkte Elsas Entsetzen.
    „ Ich wusste nicht, dass du heute kommst“, sagte Sistra kühl, „sonst hätte ich ihn in meinem Arbeitszimmer gelassen. Aber ich glaube, hier fühlt er sich besonders wohl. Das Sonnenlicht tut ihm gut.“
    Die Strahlen der Sonne tanzten über den Käfig hinweg zu einem Spiegel an der Wand, der das Licht ins Zimmer zurückwarf. Doch der Vogel nahm nichts davon wahr. Er saß gekrümmt auf seiner Stange und rührte sich kaum. Nur weil seine Brust sich leicht hob und senkte, konnte Elsa glauben, dass er nicht ausgestopft war. Wie konnte Sistra behaupten, dass er sich an der Sonne erfreute, wo ihn doch sichtlich gar nichts mehr erfreute? Elsa fragte sich, ob er krank war. Gewundert hätte es sie nicht.
    „ Das einzige, was ihm gut täte“, sagte Elsa mit Entrüstung in der Stimme, „wäre die Freiheit.“
    „ Ihm vielleicht“, sagte Sistra, „aber uns nicht. Finde dich damit ab, Kleines, und sei froh, dass du kein Rabe bist.“
    Da war Elsa allerdings froh. Doch dann fiel ihr ein, dass Raben ja nicht nur Vögel waren, sondern auch Verbrecher, die Könige töteten und Frauen entführten. Sie war sich auf einmal nicht mehr sicher, welche Sorte Rabe Sistra nun gemeint hatte.
    „ Du siehst müde aus“, sagte Sistra. Zum ersten Mal klang sie besorgt und mitfühlend. „Wenn du magst, dann leg dich ein bisschen hin. Ich habe sowieso noch zu arbeiten. Ich weiß nicht, wie dein Zimmer gerade aussieht, aber Resi richtet es von Zeit zu Zeit. Schau einfach mal nach.“
     
    Es bereitete Elsa keine Mühe, das Zimmer von Amandis zu finden, denn Resi, die von Sistra gerufen worden war, ging voraus, um Amandis Kekse und Milch ans Bett zu stellen, die Vorhänge aufzuziehen, ein Fenster zu öffnen und die Betten auszuschütteln.
    „ Wie war es in Bellon? Hat es dir gefallen?“, fragte das fleißige Mädchen. Sie war ein bisschen jünger als Amandis.
    „ Es war … anders als hier“, antwortete Elsa. „Ich hatte Heimweh.“
    „ Das kann ich gut verstehen“, sagte Resi, „ich will auch nie weg von hier. Kann ich sonst noch etwas für dich tun?“
    Elsa war es nicht gewohnt, bedient zu werden. Sie schüttelte den Kopf und war froh, als Resi die Tür hinter sich zumachte und Elsa alleine in Amandis’ Zimmer zurückließ. Es war ein Zimmer mit zierlichen Möbeln in zarten Farben. Auf dem kleinen Schreibtisch, der vorm Fenster stand, sammelte Amandis Holzkästchen und Porzellandosen, goldene und silberne Füllfederhalter und in weichen Stoff gebundene Schreibbücher. Nie war es Elsa deutlicher geworden, dass sie sich in einem fremden Leben, in einem fremden Körper, ja sogar in fremden Gedanken befand. Etwas von Amandis – wo auch immer das echte Mädchen

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