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Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Titel: Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
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bis sie das einzige Anwesen in dieser Straße erreichten. Ein breites Tor führte in einen riesigen Garten, der mindestens so groß war wie der Zentralpark von Kristjanstadt. In dem hatte sich Elsa mal mit Tante Sani verlaufen. Im Zentralpark sah aber auch jede Stelle gleich aus, denn die Wege waren schnurgerade und die Nadelbäume, die dort hauptsächlich wuchsen, unterschieden sich kaum voneinander. Man musste sich an der Farbe der Mülleimer orientieren, dann konnte man anhand eines Plans herausfinden, wo man war. Doch hier, im Garten der Relings, gab es keine Mülleimer und man fand sich auch so zurecht. Es gab Anhöhen und Gräben, Hecken und Lauben, Beete und Bäume in jeder Größe und Form. Zwar waren die meisten von ihnen jetzt kahl, da der Herbst in den Winter überging, doch waren die Bäume trotzdem stark und schön und die Plätze, an denen sie wuchsen, sorgsam ausgesucht. Elsa bewunderte Büsche in Muschel- und Fischformen, Kiesbilder von Wolken und Vögeln und immergrüne Tannen mit blaugrünen Nadeln im erstaunlich grünen Wintergras. Doch sie musste so tun, als sei dies ein gewohnter Anblick.
    „ Stimmt es“, fragte der Mann, „dass der König seine Gärten in Hagl nach diesem Vorbild hat anlegen lassen?“
    „ Ja“, sagte sie fest, denn endlich konnte sie mal etwas mit Gewissheit behaupten. „Aber die sind nicht so schön wie dieser hier.“
    Sie folgten dem breitesten Kiesweg und gelangten zu dem großzügigen Haus, das mitten im Garten auf einer Anhöhe thronte und sehr hoheitsvoll wirkte. Kaum hatte Elsa die Treppenstufen erklommen, die zum Eingang führten, staunte sie über die Größe der Eingangstür. Die Pforte musste für Riesen gemacht sein, so groß und breit war sie. Dort standen schon drei Bedienstete nebeneinander, die Amandis mit Knicksen und Verbeugungen begrüßten. Den Mann an Elsas Seite sprachen sie mit „Leimsel“ an. Dieser Leimsel fragte in die Runde, ob Amandis nicht eine wunderschöne, junge Frau geworden sei. Es war Elsa peinlich, da sie weder Amandis noch eine junge Frau war, doch bald war auch das vorbei und sie traten in ein Treppenhaus, das sich mehrere Stockwerke nach oben schraubte und in eine gläserne Kuppel mündete, sodass es unten in der Eingangshalle taghell und sonnig war. Elsas Blick fiel gleich auf ein Gemälde linker Hand, das die Höhe von zwei Stockwerken einnahm. Es zeigte eine Frau, die Amandis ähnlich sah, doch war ihr Haar dunkelrot, ihre Gesichtszüge ernster und ihre Augen schwarzgrün und von eigenartiger Tiefe.
    „ Morawena“, stand unter dem Bild. „Stumm verbleiben wir, so stumm, wie sie uns verließ.“
    „ Es ist immer wieder gruselig, nicht wahr?“, sagte der Mann namens Leimsel. „Mir wird so anders, wenn ich in diese Augen schaue.“
    Das Denken und vor allem das Rechnen fiel Elsa in dieser brenzligen Situation schwer. Sie bekam nur so viel zusammen: Wenn Morawena vor acht Jahren verschwunden war, dann hatte Amandis – die Person, für die man sie jetzt hielt – diese Frau gekannt. Zumindest als Kind.
    „ Sie könnte ihr auch ähnlicher sehen“, erklärte Elsa aufs Geratewohl.
    „ Nun ja, der Gesichtsausdruck stimmt. Aber gar so versteinert hat sie in Wirklichkeit nicht ausgesehen“, meinte Leimsel. „Armes Mädchen. Aber schau mal, da kommt deine Schwester! Hallo, Sistra, sieh mal, wen ich mitgebracht habe!“
    Elsa drehte sich um. Eine Frau trat aus einem dunklen Flur in die helle Halle und sah sehr überrascht aus. Elsa fürchtete, dass diese Sistra, deren Schwester sie vorgab zu sein, den Schwindel sofort bemerkte. Doch wie Elsa später erfuhr, war Amandis ein halbes Jahr fort gewesen, auf einer Schule namens Bellon, lange genug, um ihrer älteren Schwester fremd zu erscheinen. Daher runzelte Sistra nur die Stirn und streckte zögernd ihre Arme nach Elsa aus, um diese zu umarmen.
    Sistra hatte rötliches Haar, ebenso wie ihre Schwestern, doch sie trug es in einem straffen Knoten, was sie älter und strenger erscheinen ließ. Sie hatte hübsche blaugrüne Punkte in ihren Augen, ihr Blick wirkte kühl. Auch schien sie in Eile zu sein und nicht so recht erfreut über das Wiedersehen.
    „ Das Schuljahr ist noch nicht zu Ende“, sagte sie. „Was machst du hier, Amandis?“
    Leimsel half Elsa aus der Verlegenheit.
    „ Jetzt sei doch nicht so biestig, Sistra. Das Mädchen hatte die Nase voll. Wundert mich sowieso, dass sie es in dem Stall so lange ausgehalten hat.“
    „ Was du als Stall bezeichnest, kostet ein

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