Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)
angesetzt.“
Sie merkte bei dieser Gelegenheit, dass er anders aussah als sonst. Der Lichteinfall machte seine Augen blauer, aber das war es nicht. Er war reichlich unrasiert und hatte die langen Haare im Genick zu einem Knoten zusammengebunden. Dazu trug er ein weißes Hemd, dessen Kordeln sie ihm normalerweise nicht zugetraut hätte.
„ Hast du dir einen neuen Stil zugelegt?“
„ Angepasst“, sagte er. „Das wirst du auch gleich tun müssen und du wirst nicht begeistert sein.“
„ Was soll das heißen?“
„ Das heißt, dass wir heute einen langen Weg vor uns haben, vorausgesetzt, du fühlst dich stark genug dafür. Wir werden vielen Menschen begegnen, deswegen müssen wir uns der hier üblichen Mode anpassen und die ist, zumindest für Frauen, sehr bunt.“
„ Bunt? Wie bunt?“
„ Schrill, grell, möglichst viele Farben und Muster, die nicht zusammenpassen. Das finden die Männer hier attraktiv.“
„ Aber ich muss doch nicht attraktiv aussehen!“
„ Das dachte ich auch, deswegen habe ich dir zwei einfarbige Kleidungsstücke mitgebracht. Darin werden sie dich für eine graue Maus halten.“
Elsa sah sich im Zimmer um. Über einem Stuhl hing eine unerträglich grüne Tischdecke und daneben eine rote Gardine, deren Rot in den Augen schmerzte.
„ Das ist nicht wahr!“, rief sie. „Es kann nicht sein, dass die Männer so herumlaufen wie du und die Frauen wie Verkehrsampeln leuchten!“
„ Ich gebe zu, dass die bürgerlichen Männer normalerweise Halsmanschetten tragen und Kostümjacken mit Rüschen, wenn auch nicht bunte, denn das wäre ihnen zu weiblich. Ich stelle aber nur einen einfachen Landarbeiter dar, die können sich keine Rüschen leisten.“
„ Ich will mir auch keine Farben leisten können. Wenn du eitel sein darfst, habe ich auch ein Recht darauf!“
„ Nein, das willst du nicht. Du willst nicht wie eine hiesige Landarbeiterin herumlaufen.“
Alleine der Gedanke daran brachte ihn zum Lachen.
„ Warum?“
„ Da sie keine Farben tragen dürfen, tragen sie lieber nichts. Fast nichts.“
Also gut. Dann musste es eben doch die grüne Tischdecke sein und das Oberteil mit den signalroten Flatterärmeln. Sie zog sich ins Bad zurück, um es anzuziehen. Immerhin passten ihr die Sachen und wenn sie vorgehabt hätte, bei einer istländischen Zirkusnummer auf einem weißen Pony zu tanzen, dann hätte sie vielleicht eine gute Figur gemacht. Nun fönte sie ihre Haare, verknotete sie so ähnlich wie seine und band sie im Genick zusammen.
„ Du kannst beruhigt sein“, sagte er, als sie wieder ins Zimmer kam. „Obwohl die Farben grausam sind, stehen sie dir.“
„ Du meinst, ich sehe nicht albern aus?“
„ Nein, du siehst sehr hübsch aus.“
Da steckte kein männliches Interesse dahinter, davon war sie überzeugt, und doch wurde Elsa bedeutend wärmer in ihrem Zirkuskostüm.
„ Das ist immer komisch, wenn du mir Komplimente machst.“
Er schaute sie überrascht an.
„ Wieso immer? Habe ich das schon mal gemacht?“
„ Ja, in Hagl.“
„ Ich kann mich nicht erinnern, aber wahrscheinlich dachte ich, dass du Aufmunterung brauchst. So wie jetzt.“
„ Du hast damals gesagt, dass mir Ulissas Gesicht gut steht.“
„ Na ja, das ist nicht weltbewegend. Es ist nun mal ein schönes Gesicht, ich frage mich, wem es nicht stehen sollte. Glaubst du denn, dass du ein längeres Stück laufen kannst?“
„ Wie schnell und wie weit?“
„ Erst mal bis zum Bahnhof. Langsam, denn die Leute haben es hier nicht eilig.“
„ Das schaffe ich.“
„ Hast du Hunger?“
Sie schüttelte den Kopf. Essen, das erinnerte sie an Würmer und Körner.
„ Dann essen wir unterwegs etwas. Wir haben strenggenommen einen Tag Zeit. Wenn wir keinen Möwen begegnen, denen wir komisch vorkommen, dann dürfte es nicht allzu gefährlich werden.“
„ Wohin gehen wir?“
„ Zu einem Tor, ungefähr eine Tagesreise von hier entfernt. Es ist ein beliebter Ausflugsort.“
„ Und dann?“
„ Dann bringe ich dich nach Istland. Unterwegs erkläre ich dir, was du dort tun musst, und dann hoffen wir beide, dass du für den Rest deines Lebens dort bleibst.“
Elsa glaubte sich verhört zu haben. Istland? Ihr Istland?
„ Du willst doch noch nach Hause?“
Sie nickte. Das wollte sie mehr als alles andere.
„ Bevor ich es vergesse“, sagte er und reichte ihr einen fast runden Stein.
„ Wo hast du den denn her?“, fragte sie erstaunt.
„ Du hattest nicht viel bei dir, als du dich
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