Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)
erinnern, wie sie in diesem Käfig gelandet war. Sie hatte einen großen Fehler gemacht.
„ Wie lange war ich da drin?“
„ Etwas über ein Jahr“, antwortete er.
Sie zog die Decke fester um sich.
„ Warum bin ich so nass?“
„ Weil ich den störrischen Raben, der mir am liebsten die Hand abgehackt hätte, unter Wasser stecken musste, damit er sich verwandelt.“
„ Das hast du gemacht?“, fragte sie.
„ Ja. Er hat sich dann in einen Fisch verwandelt. Den Fisch habe ich aus dem Wasser gezogen und aufs Bett geworfen.“
„ Wie fies das ist“, sagte sie. „Ich hätte ersticken können!“
„ Raben verwandeln sich, bevor sie ersticken, das ist ja der Trick. Du musst zugeben, dass es funktioniert hat.“
Daran konnte sie sich jetzt erinnern. Wie sie als nasser Mensch, immer noch nach Luft schnappend auf dem Bett gegessen hatte. Er hatte ihr sofort die Decke um die Schultern gelegt, an der sie sich jetzt festklammerte.
„ Ich konnte nicht warten, bis es dir gefällt, wieder ein Mensch zu werden“, erklärte er. „Ich muss mit dir sprechen und wir müssen bald hier weg.“
„ Warum?“
„ Weil ich dich gestohlen haben und die Leute, die ich bestohlen habe, werden das nicht lustig finden.“
„ Sind diese Leute nicht mit dir verwandt?“
„ Falls du Sistra meinst, die hat mir geholfen. Du hast dich in der Obhut von Egas Möwen befunden.“
„ Obhut!“
„ Ursprünglich war es Sistra, die dich eingesperrt hat. Sie hat dich auch in diesen Keller gesteckt, aber das sollte höchstens für einen Tag sein, das behauptet sie jedenfalls. Aber nachdem bekannt wurde, dass Sistra dich geschnappt hat, haben Ega Miss und ihre Anhänger den Kurs geändert. Sie haben auf eine Zusammenarbeit mit den Ausgleichern verzichtet und Sistra ein Friedensangebot gemacht. Einzige Bedingung war, dass ihnen der eingesperrte Raben anvertraut wird. Angeblich, weil Sistra schon mal einen Vogel verloren hat. In Wirklichkeit aber, damit sich Ega an dir rächen kann. Der Keller kam ihr gerade recht und damit du ihr nicht zu schnell darin eingehst, hat sie dich ärztlich bestens versorgt. Das kommt uns jetzt zugute.“
„ Ach ja.“
„ Ja, denn so wie es aussieht, bist du gesund und kannst dich aus eigener Kraft bewegen. Das ist nicht selbstverständlich nach so einem Jahr. In dem Zustand hättest du wahrscheinlich noch ein halbes Jahrhundert im Käfig durchgehalten.“
Das war eine Vorstellung, die sie frierend machte. Aber sie war ja auch nass. Sie nahm einen losen Zipfel ihrer Decke und rieb sich damit das Gesicht trocken.
„ Sogar Sistra kennt so etwas wie ein schlechtes Gewissen“, sagte er. „Deswegen konnte ich sie nach und nach davon überzeugen, mir einen Schlüssel machen zu lassen und mir zu sagen, was ich wissen muss. So konnte ich dich holen. Allerdings hat sie die Bedingung gestellt, dass du für immer verschwindest und der Raub weder auf sie noch auf mich zurückfallen darf. Siehst du nun ein, dass ich keine drei Wochen warten konnte, bis dir zufällig wieder nach Menschlichkeit zumute ist?“
Elsa antwortete nicht, sondern sah sich im Zimmer um. Das sah irgendwie niedlich aus, warum konnte sie gar nicht sagen. Vielleicht weil es so klein war und grünliche Butzenfenster hatte und eine niedrige Decke. Der Sonnenschein, der durch die Fenster fiel, war gelb-grün-weiß gefleckt. Als Elsa ihn betrachtete merkte sie, wie froh sie war. Hinzu kam, dass sie sich sicher fühlte, obwohl Anbar behauptete, sie seien nicht sicher. Es machte ihr auch nichts aus, dass sie nur eine Decke anhatte, obwohl da ein richtiger Mann neben ihr auf dem Bett saß. Was daran lag, dass dieser Mann kein männliches Interesse an ihr zeigte, sie hätte auch ein Hund oder eine Blumenvase sein können, so wie er sie behandelte. Sie fragte sich, wem gegenüber er wohl männliches Interesse entwickelte. So gut, wie es die Natur mit ihm gemeint hatte, musste er das doch irgendwann tun. Um nicht in den Verdacht zu geraten, sie bringe so etwas wie weibliches Interesse auf – jegliches Interesse dieser Art lag ihr nämlich sehr fern – musterte sie ihn erst genauer, als er zum Fenster schaute, um etwas über die Tageszeit zu sagen.
„ Es ist noch nicht mal elf Uhr und wenn wir Glück haben, bemerken sie dein Fehlen erst morgen früh. In der Regel haben die Wachen nur einmal am Tag den Käfig kontrolliert und Futter gebracht und zwar morgens um sieben Uhr. Ich hoffe, es waren für heute keine außerplanmäßigen Termine für dich
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