Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)
meinen es nicht böse. Aber sie hatten eben auch ehrgeizige Eltern und keinen Vater, der Außengänger war.“
„ Was ist ein Außengänger?“
„ Das sind die Leute, die die Hochwelten verlassen. Meist im Staatsdienst als Beobachter, Soldaten oder Spione. Mein Vater war Außengänger und seine Schwester Lian auch. Eines Tages schickte man Lian nach Brisa, um ein Auge auf Gastan Reling zu haben. Den Job hat sie sehr gründlich erledigt. Sie hat sich in den Feind verguckt und so kam diese seltsame Verbindung zwischen Möwen und Ausgleichern zustande.“
„ Das ist mal eine Geschichte! Wie in einem Roman.“
„ Sie waren ein schönes Paar. Leider starb Lian viel zu früh, sie hat Ulissas Geburt nicht überlebt.“
„ Aber Gastan Reling wurde auch nicht alt, wenn ich mich richtig erinnere.“
„ Er hat ihren Tod nicht verkraftet. Das ist jedenfalls die einzige Erklärung für seinen geistigen Verfall. Er wurde immer seltsamer und verrückter und eines Tages stürzte er aus einem Fenster und brach sich das Genick. Ob er es absichtlich oder aus Versehen getan hat, weiß niemand.“
„ Jetzt ist es keine schöne Geschichte mehr.“
„ Das fand meine Mutter auch. Es hat sie in der Überzeugung bestärkt, dass es Selbstmord ist, die Hochwelten zu verlassen. Ich habe sechs Schwestern und zwei Brüder, aber nur einer der Brüder hält sich außerhalb der Hochwelten auf, so wie ich. Den anderen hat sie es mehr oder weniger verboten.“
„ Und?“, fragte Elsa. „Wirst du die Welten regieren?“
„ Nein, eher nicht.“
„ Wie regiert man denn die Welten?“
„ Man wird Anführer der Mehrheit im Rat der Hochwelten. Und das für eine möglichst lange Zeit.“
„ Das schaffst du nicht?“
„ Ich gehöre nicht der Mehrheit an, insofern dürfte es schwierig werden.“
„ Weil sie für das Verfahren sind?“
„ Auch deswegen. Es gibt viele Gründe.“
„ Was ist denn dann aus dir geworden? Niemand?“
„ Vertreter einer Minderheit.“
„ Oh, das klingt furchtbar. Deine arme Mutter!“
Er lachte in seine Suppenschüssel hinein.
„ Sie erträgt es tapfer.“
Elsa wusste nicht, was sie von ihrem Marmeladenwürstchen halten sollte. Es war essbar. Im Grunde war es ihr auch egal, wie es schmeckte, solange es Bestandteil dieser bunten Welt an diesem besonderen Tag war. Wenn es ihr möglich gewesen wäre, hätte sie von jetzt an jeden Tag knallrote Marmeladenwürstchen gegessen, um ihre neue Freiheit zu feiern.
Diese Freiheit führte sie als Nächstes in die Bahnstation, wo Anbar zwei Fahrkarten für sie kaufte. Es war warm an diesem Herbsttag, denn der Ort, an dem sie sich befanden, hatte ein warmes Klima. Sonst hätten die Landarbeiterinnen auch nicht so leicht bekleidet herumlaufen können, wie sie es taten. Elsa wunderte sich, dass ihnen die durchsichtigen Stoffe behagten. Aber sie waren es wohl gewohnt und dachten sich nichts dabei. Als eine Dampflok mit blauen Waggons einfuhr, auf denen ‚Ogelamarke’ stand, stiegen sehr viele Leute ein, auch Elsa und Anbar.
Es gab lauter plüschige Abteile mit kreisrund angeordneten Sesseln. Hier durften allerdings nur die Bürgerlichen sitzen. Die Landarbeiter und ähnlich arme Menschen mussten im Einstiegsbereich auf Holzbänken Platz nehmen.
„ Das haben wir nun davon“, sagte Elsa.
Sie fand aber die Holzbänke wesentlich geschmackvoller als die Plüschsessel. Außerdem konnte man auf diese Weise direkt am Fenster sitzen. Eine Zeitlang schaute sie hinaus und konnte sich gar nicht sattsehen. Von weitem sah man, dass die Silhouetten der Ortschaften so aufgebaut waren, dass sie in der Mitte am höchsten waren und sich zum Rand hin verkleinerten. Wie Berge mit Türmen sahen sie aus. Typisch niedlich, wie alles in dieser Welt, und doch ernst gemeint. Die Landschaft hingegen, vor allem die ausgedehnten Felder sahen nicht anders aus als überall.
„ Wir fahren also nach Istland?“, fragte Elsa, nachdem sie sich einigermaßen satt geguckt hatte. Es war bestimmt schon eine Stunde vergangen und der Zug hatte an mehreren Orten gehalten.
„ Das tun wir, wenn du bereit bist, dich an feste Regeln zu halten.“
„ Was für Regeln?“
„ Du glaubst nur noch an Istland und hältst alles andere für einen Traum. Vielleicht ist es ja sogar einer. Du darfst nicht annehmen, dass deine Andersartigkeit irgendeine Wirklichkeit besitzt, und natürlich darfst du sie nicht einsetzen.“
„ Habe ich das richtig verstanden? Ich tue so, als wäre ich normal?“
„
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