Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)
Dort gab sie dem Unbehagen nach, das sie erfüllte, und verwandelte sich fast explosionsartig in einen Menschen zurück. Elsa hielt erschrocken inne: Hatte es geknallt? Oder war es ihr nur so vorgekommen? Sie fühlte sich einigermaßen elend, so wie einmal platt gewalzt und zusammengefaltet und danach wieder ausgeschüttelt und gewaltsam in vier Richtungen gestreckt. So wie Pujas Tischtücher, wenn sie aus der Wäschemangel kamen. Es war nicht gut, eine so kleine Gestalt anzunehmen. Das hatte sie jetzt also auch gelernt.
Sie horchte: Im anderen Raum redeten die Möwen unverändert weiter. Niemand hatte den Eindringling und seine Verwandlungsexperimente bemerkt. Sie atmete erleichtert auf und sah sich um. An den Wänden standen Regale, in denen Werkzeuge lagen. In der Mitte des Raums sah sie die Umrisse von großen Truhen. Sie bückte sich hinter eine von ihnen und versuchte zu verstehen, was gesprochen wurde.
„ Nein, Berth!“, rief eine Frauenstimme. Es musste Ega Miss sein, denn sie war die einzige Frau in der Gruppe. „Wenn wir handeln wollen, müssen wir es alleine tun. Du weißt, wie sie sich anstellt!“
„ Es ist aber auch Verrat“, erwiderte der Mann namens Berth. „Sistra wird uns anklagen.“
„ Komm, Berth!“, rief ein Mann mit tiefer Stimme, ungeduldig und spöttisch. Elsa hatte gleich Edon Weiss mit seinem Nussknackerkinn vor Augen. „Das Gericht besteht zur Hälfte aus Ausgleichern! Glaub mir, die sind uns dankbar, wenn wir das Steuer herumreißen!“
„ Das heißt?“, fragte ein anderer.
„ Dieser Rabe muss sterben“, sagte Edon. „Für immer und egal wie.“
„ Wenn wir ihn aber doch noch brauchen?“, fragte jetzt wieder Berth. „Um Kundrien neu aufzubauen?“
„ Jetzt hör schon mit dem Kinderkram auf!“, brummte Edon. „Wozu brauchen wir ein neues Kundrien? Uns ginge es prächtig, wenn es diese Rabenviecher nicht gäbe.“
„ Du musst ja nicht mitmachen“, sagte nun Ega zu Berth, „du solltest dich nur raushalten, bis es vorbei ist. Schaffst du das?“
Berth musste genickt haben, denn Ega wechselte jetzt das Thema. Zu Elsas Schrecken erklärte sie, dass sie alle Tore hatte abschirmen lassen, sodass kein Rabe hindurchkäme.
„ Ich bin sicher, wir kriegen sie, wenn sie es versucht.“
„ Gibt es genügend Greifer?“, fragte jemand.
„ Alle, die ich in der kurzen Zeit auftreiben konnte, ungefähr fünf für jedes Tor.“
„ Wir müssen sie kriegen, bevor ihre Meute über Brisa herfällt“, sagte Edon Weiss. „Ich frage mich, was das Miststück hier will. Sie wird ja nicht so blöd sein und wieder bei den Relings anklopfen?“
Seine Bemerkung löste allgemeines Gelächter aus.
„ Also gut“, sagte Edon gut gelaunt. „Machen wir uns an die Arbeit.“
Elsa hörte Stühlerücken.
„ Haben wir noch Pfeilhülsen?“, fragte einer.
„ Schau halt nach!“
Der Unbekannte, der nach den Pfeilhülsen gefragt hatte, näherte sich zu Elsas Entsetzen dem dunklen Raum, in dem sie sich versteckte. Schon kam er durch die Tür, sie sah es am Lichtschein der Kerze, die er in der Hand hielt. Elsa duckte sich, so tief sie konnte. Sie atmete unhörbar. Der Mann öffnete eine Truhe und pfiff zufrieden durch die Zähne. Die Kerze stellte er auf einer anderen Truhe ab. Hätte er sie behutsam abgestellt, wäre Elsa vielleicht unentdeckt geblieben. Doch er sah nicht hin, er stellte die Kerze halb in die Luft, sodass sie herunterfiel. Der Metallhalter fiel klirrend zu Boden und das heiße Wachs der Kerze spritzte Elsa ins Gesicht. Sie wollte keinen Ton von sich geben, zuckte aber doch zusammen, und das war laut genug. Die Kerze rollte, immer noch brennend, über den Boden. Als sie erlosch, wurde Elsa gepackt und aus ihrem Versteck gezerrt. Sie konnte sich nicht wehren. Etwas an dem Griff des Mannes hinderte sie an jeder Verwandlung. Vielleicht lag es an den weißen Schnüren, die um seine Arme gewickelt waren. Sie flimmerten in Elsas Augen. Der Mann zerrte sie ins erleuchtete Zimmer.
„ Schaut mal, was ich gefunden hab!“, rief er triumphierend. „Wenn das mal kein Wink des Schicksals ist!“
Ega war bestürzt.
„ Sie sieht ja wirklich wie Ulissa aus!“
Es war Elsa in diesem Moment nicht möglich, viel zu denken. Sie war bis ins Mark erschüttert. Nur eins wurde ihr klar: Sie hatte es versäumt, sich in Amandis zurückzuverwandeln. Zwar trug sie immer noch deren Kleid, doch die Haare, die auf ihre Arme hinabfielen, waren pechschwarz. Dümmer hätte sie es kaum
Weitere Kostenlose Bücher